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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Autoren: Joern Klare
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einstelle.
    – Auch wie ich mich als Betroffener oder Angehöriger auf ein Leben mit Demenz einstelle?
    – Ja. Obwohl das gerade bei der Demenz natürlich schwierig ist. Ich habe das nicht wissenschaftlich erforscht, aber immer wieder erlebt, dass Leute, die in ein Heim ziehen, dort auch etwas für sich entdecken können. Die Beziehung zu einem pflegenden Menschen oder eine bestimmte Beschäftigung oder Tätigkeit.
    Ich erzähle ihr von meinem Vater. Sein an den Rollstuhl gefesseltes Leben in einem guten Heim mit guten Menschen, die ihn pflegen, sein völlig klarer Verstand, seine Schwierigkeiten, etwas Sinnvolles für sich zu entdecken, und seine, wie ich denke, damit zusammenhängende Müdigkeit am Leben. Bär nickt.
    – Diese Sinnerfahrungen sind etwas Flüchtiges, weil sie sich auf die Situation beziehen. Aber ich denke, und das kommt von Buber, dass diese flüchtigen Erfahrungen einen Nachhall haben können. Unser Bewusstsein von einem sinnvollen Leben setzt sich aus solchen alltäglichen Einzelerfahrungen zusammen. Jetzt mal ganz unabhängig von der Demenz. Selbst wenn diese konkrete, sinnerfüllte Erfahrung vorbei ist, weiß ich, dass die Möglichkeit für eine solche Erfahrung in meinem Leben besteht. Und grundsätzlich weiß ich ja vielleicht auch, wie ich mich wieder in diese Erfahrung hineinbringen kann. Und dieses Bewusstsein wirkt auf mein Lebensgefühl.
    Tatsächlich, das kenne ich. Diese Kleinigkeiten, die vielleicht Mühe, aber auch Freude bereiten und, für sich genommen, »Sinn machen«. Einem interessanten Gedanken folgen, einfach in der Sonne sitzen, mit einem Freund Schach spielen, einen Berg besteigen, ein leckeres Essen kochen, mit der Tochter spielen, ein Buch lesen, gute Arbeit abliefern, Freude am Schwimmen, vielleicht mal jemanden anlächeln, den Balkon bepflanzen, über Humor aus einer schwierigen Situation herausfinden, durch einen Wald laufen … Kleine gute Momente, die den Alltag und das Leben bereichern und sich mehr oder weniger einfach wiederholen lassen. So weit, so sinnvoll. Aber bei der Demenz?
    – Grundsätzlich ist das auch bei der Demenz lange möglich, weil sich emotionale Erfahrungen viel stärker einprägen. Auch daran kann man anknüpfen. In einer Untersuchung hat man Betroffenen Fotos von Personen gezeigt, in Verbindung mit Informationen über positive und negative Eigenschaften dieser Personen. Später erinnerten sich die Betroffenen zwar nicht mehr an dieInformationen, aber der Eindruck »das ist ein guter beziehungsweise ein schlechter Mensch«, war noch da.
    Ich erzähle Bär von meiner Mutter, meiner Hoffnung, dass sie mich zumindest auch als einen »guten Menschen« in Erinnerung behält. Und dass ich oft nicht weiß, was ich von ihren Selbstauskünften halten soll, ob es ihr wirklich »gut geht«, wenn sie sagt, dass es so ist. Das sei nicht nur mein Problem, sagt Bär, sondern auch ein Problem der Forschung zur Lebensqualität bei Menschen mit Demenz, weil man ja durchaus in Betracht ziehen müsse, dass die Frage »Wie geht es Ihnen?« mit der reflexartigen Konvention »gut« beantwortet wird.
    – Das kann man oft nur aus der Situation und seinem Gefühl heraus beurteilen.
    – Aus Ihren Untersuchungen und Ihrer Beschäftigung mit demenzkranken Menschen, was haben Sie da mitgenommen?
    Sie überlegt nur kurz.
    – Eine Vorstellung davon, wie viel Lebensqualität es trotz dieser verstandesgemäßen Einschränkungen geben kann. Und ich denke, ich habe jetzt ein Gefühl dafür, worauf es mir im Leben ankommt. Wie wichtig es ist, Innehalten und im »Jetzt« leben zu können. Und dass, ganz wichtig, unser größtes Kapital jenseits von Geld und allen Absicherungen gute Familienbeziehungen sind. Ich habe Familien erlebt, die mit der Demenz wunderbar klarkamen, während es bei anderen, wo es zuvor schon alte Konflikte gab, die nicht mehr gelöst werden konnten, plötzlich ganz schlimm wurde.
    Bär sagt, sie habe keine große Angst, selbst einmal betroffen zu sein. Bestimmte Verläufe, die etwa mit großer Unruhe verbunden sind, würden ihr allerdings Sorgen bereiten. Aussagen gesunder Personen wie »Dann bringe ich mich lieber um« findet sie mindestens ärgerlich. Ihr Rat: abwarten.
    – Es ist etwas völlig anderes, pauschal über so eine Situation zu urteilen, wenn man gesund mitten im Leben steht oder wenn man im Alter von einer Demenz betroffen ist. Man wächst in Lebenssituationen hinein, und man kann an ihnen wachsen. Auch bei Demenz. Nicht immer
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