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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel
Autoren: Juliane Koepcke
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fühle heute noch das Gewicht meines kleinen Rucksacks. Den Aufstieg schaffte man nicht in einem Tag, wir mussten eine Nacht am Berghang unter freiem Himmel verbringen. Oben im Wald angekommen, zelteten wir dann meistens ungefähr eine Woche lang. Meine Eltern hielten den Einstieg in diesen Wald geheim, um ihn vor Plünderern zu schützen. Ich liebte diese Ausflüge und konnte mich stundenlang in der Natur beschäftigen, so klein ich auch noch war.
    Ich war gerade mal zwei Jahre alt, da brach mein Vater auf eine noch viel weitere Reise auf: Er musste zurück nach Kiel, um sich zu habilitieren und einige Pflichtvorlesungen zu halten. Er reiste am 27 . Dezember 1956 mit dem Schiff »Bärenstein« ab und erreichte Bremen am 25 . Januar 1957. Wegen formaler Schwierigkeiten in Kie l – vor allem weil er nicht in Deutschland lebt e – hielt er seinen Habilitationsvortrag schließlich im Juli an der Universität in Hamburg, wurde hier sofort für einige Jahre beurlaubt mit der Auflage, nach seiner Rückkehr dort Vorlesungen zu halten. Seine Habilitationsschrift hatte er über die Ökologie und Biogeografie der Wälder auf der Westseite der peruanischen Anden verfasst.
    Als wollte ihn Europa auch dieses Mal nicht aus seinen Fängen lassen, gestaltete sich seine Rückreise nach Peru äußerst schwierig: Zunächst wollte er von La Rochelle mit der »Reina del Pacífico« reisen, die sich allerdings verspätete. Nach längerer Wartezeit erfuhr er, dass das Schiff auf ein Korallenriff gelaufen war und in England repariert werden musste. Also reiste er zurück nach Paris, um eine neue Schiffspassage zu buchen, nur um zu seinem Schrecken zu erfahren, dass bis zum Ende des Jahres alle Schiffe bereits ausgebucht waren. Durch Zufall konnte er gerade noch einen Platz auf der »Lucania« ergattern, die von Cannes ablegte. Doch die »Lucania« kam nur bis zu den Kanaren, sie hatte unterwegs einen schweren Maschinenschaden erlitten. Also musste er nach einer neuen Passage Ausschau halten und fand sie auf einem Schiff namens »Ascania«, das ihn bis Venezuela brachte, wo er erst am 7 . September ankam. Und von dort musste er die restlichen 500 0 Kilometer nach Lima auf dem Landweg über Bogotá und Quito bewältigen. Meinem Vater muss diese Odyssee wie ein Déjà-vu seiner ersten Reise nach Peru erschienen sein! Doch davon später.
    Ich hatte meinen Vater neun Monate nicht gesehe n – kein Wunder sagte ich nach seiner Rückkehr anfangs »Onkel Papi« zu ihm!
    Wer außerdem noch untrennbar mit meiner Kindheit verbunden ist, das ist unser ehemaliges Mädchen Alida. Sie gehört zu der schwarzen Minderheit in Peru und war 1 8 Jahre alt, als sie zu uns kam, ich zählte damals fünf Jahre. Zu jener Zeit war ich sehr dünn und wollte nie essen. Noch spät am Nachmittag konnte man mich mit irgendetwas im Mund durch den Garten spazieren sehen, und das war dann meistens der Rest vom Mittagessen. Heute geht Alida auf die 70 zu, und wann immer ich in Lima bin, sehen wir uns. Wir haben jedes Mal viel miteinander zu reden, tauschen Kochrezepte aus, und irgendwann kommen wir dann auf die Vergangenheit zu sprechen.
    »Weißt du noch«, frage ich sie, »als diesem deutschen Forscher eine giftige Schlange ausbüchste? Du wusstest zum Glück nicht, dass die giftig war.«
    »Ja«, antwortet sie und rollt die Augen, »aber ich war es, die ihre Spuren im Garten entdeckt hat! Im letzten Moment hat dein Vater sie eingefangen und dem verrückten Kerl noch aufs Schiff bringen lassen.«
    Wir erinnern uns, wie sie erlaubte, dass ich mit meinen Mitschülerinnen Marshmallows über Kerzenflammen röstete, und wie mich niemand anderes als der Freund unserer Familie Alwin Rahmel im Restaurant dazu überredete, ein Quadril zu bestellen.
    »Du hattest keine Ahnung, dass es sich um ein Riesensteak handelt«, lacht Alida, »dann wurde es gebracht, und es war größer als du selbst.«
    Wenn ich nicht schlafen konnte, weil ich mich vor dem Tunshi fürchtete, einem peruanischen Sagenvogel aus dem Urwald, dann tröstete mich Alida.
    »Tunshis leben nur im Dschungel«, sagte sie. »Hier in Lima gibt’s weit und breit keinen Tunshi.«
    Sie konnte ja nicht ahnen, dass wir ein paar Jahre später tatsächlich in diesen Urwald ziehen würden. Tunshis habe ich aber niemals gesehen, dafür, und da war ich noch keine fünf Jahre alt, einen wütenden Stier.
    Damals unternahmen wir mal wieder eine Exkursion in den Regenwald. Dort lebte Peter Wyrwich, ein deutscher Viehzüchter, der
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