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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel
Autoren: Juliane Koepcke
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meinen Eltern zur Hand ging und im Auftrag des Naturhistorischen Museums hin und wieder gezielt Vögel und Säugetiere fing. Waren wir zu Besuch, dann machte ich gemeinsam mit seinem Sohn Peter jr. die Gegend unsicher. Wir mussten unsere kleinen Nasen überall hineinstecken, ob es nun Maschinen waren oder die Tiere in ihren Ställen. Mit Puppen spielte ich ohnehin nie, alles Technische fand ich schon immer viel interessanter.
    »Komm«, sagte Peter eines Tages selbstbewusst und zog mich in den Stall, »jetzt zeig ich dir, wie man die Kuh melkt.«
    Bei dieser »Kuh« handelte es sich allerdings um einen Jungstier, aber weder Peter noch ich hatten eine Ahnung davon, dass es einen kleinen, aber wichtigen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Tieren gibt. Als Peter den Stier kräftig an dem Ding zog, das er für das Euter hielt, reagierte der äußerst empört, schlug aus und traf mich so am Kopf, dass ich quer durch den Stall segelte. So ist das eben: Wer mit Tieren aufwächst, muss manchmal auch was einstecken können.
    Hat man Zoologen als Eltern, dann ist es auch besser, man gruselt sich nicht zu schnell: Einmal kauften meine Eltern auf dem Markt einen riesigen Hai, in dessen Magen sich eine Menschenhand befand! Möglicherweise stammte die von einem Opfer der Gefangeneninsel draußen im Meer, die ähnlich wie Alcatraz vor San Francisco für ihre Ausbruchsicherheit berüchtigt war. Wer es dennoch versuchte, geriet in eine starke Strömung, die ihn unaufhaltsam ins offene Meer hinauszog; es hieß, noch nie habe es jemand ans Festland geschafft. Dieser Hai ist allerdings kein Menschenfresser, und die Hand war sicher erst nach dem Tode des Mannes verspeist worden. Später konnte der Ha i – ohne seinen Inhal t – im Museum bewundert werden.
    Solange ich noch nicht zur Schule ging, nahmen mich meine Eltern nachmittags meistens mit ins Museum. Dort, in den riesigen Hallen mit ihren hohen Flügeltüren und den vielen Präparaten peruanischer Tiere und Pflanzen, wanderte ich umher, fürchtete mich manchmal ein bisschen, vor allem vor den ausgestellten Mumien, bis diese seltsamen Dinge zu meinem Leben gehörten wie alles andere auch.
    Doch dann hieß es auf einmal: Wir fahren nach Deutschland. Das war im Sommer 1960, ich war fünf Jahre alt, und nun sollte ich zum ersten Mal ins Land meiner Vorfahren. Eigentlich wollten wir alle drei über den Atlantik reisen, doch jemand musste sich um das Humboldt-Haus und seine Gäste kümmern. Meine Mutter wollte bekannte Forscherkollegen in Europa treffen und sich mit ihnen über ihre Ergebnisse austauschen, und da ich nicht fünf Monate mit meinem Vater allein bleiben konnte, nahm sie mich einfach mit. Ich war sehr aufgeregt, denn die Reise versprach spannend zu werden. Zuerst ging es in einer dröhnenden Propellermaschine nach Guayaquil in Ecuador. Von dort auf einem Bananenfrachter namens »Penthelicon« durch den Panamakanal Richtung Hamburg. Ich sah zu, wie im Hafen die Bananen eingeladen wurde n – riesige, noch grüne Stauden. Hatte eine von ihnen auch nur die kleinste gelbe Stelle, wurden sie einfach ins Wasser geworfen und von Einheimischen, die mit ihren Einbäumen um den Dampfer kreisten, wieder herausgefischt. Mich hat das sehr beeindruckt, denn bei uns zuhause wurden Lebensmittel nie einfach so weggeworfen. Mit den Früchten kamen auch Tiere an Bord: Eidechsen, gewaltige Spinnen und Schlangen. Ich glaube, ich war die Einzige, die das so richtig toll fand. Die Mannschaft war davon gar nicht begeistert! Während meine Mutter in der Kabine noch an ihrem Vortrag feilte, erkundete ich das Schiff und fiel so manchem Seemann auf die Nerven. Im Atlantik sahen wir Wale und fliegende Fische, und ich stand an der Reling und war sehr beeindruckt. Allerdings auch später, nach unserer Ankunft in Berlin. Da lebten meine Großeltern mütterlicherseits und meine Tanten und Onkel. Und dort gab es Schnee! Und doppelstöckige Busse! Und Krähen, von denen ich, zur Belustigung unserer Mitreisenden sagte: »Mami, schau nur, die Geier! Die sind hier aber klein!« All diese Dinge waren neu für mich, und ich war fasziniert.
    Meine Mutter unternahm in jenen Wochen Fahrten nach Paris, Basel und nach Warschau, um sich mit den Kollegen zu treffen und an den dortigen berühmten Museen zu arbeiten, denn die besaßen einige interessante Vogelbälg e – also präparierte, ausgestopfte Vöge l – aus Peru in ihren Sammlungen. Während dieser Ausflüge ließ sie mich bei den Verwandten. Und
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