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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen
Autoren: Roopa Farooki
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einen empörten Ausruf nennen, wie einen unfertigen Satz, Asif – as if – als ob? Das war wie etwas Bruchstückhaftes, Unvollendetes, ein nicht eingeschlagener Weg; was natürlich auch zutraf: Sie hatten ein Mädchen erwartet, das sie Kalila genannt hätten, daher sein dritter Name. Asif Declan Kalil Murphy. Ein Murphy, der ist, was er ist: ein kleiner Niemand. Als ob es ihn gar nicht gäbe.
     

     
    Im Haus geht Asif gleich in die Küche, wo Yasmin in einer ausgebeulten Jeans und einem grauen T-Shirt an der Spüle steht und Teller wäscht, die Haare zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie wirkt so normal, dass die Szene fast aussieht wie gestellt, als hätte sich Yasmin darauf vorbereitet, dass gleich jemand hereinkommen und rufen würde: Hallo Schatz, ich bin wieder da.
    »Hallo Asif«, sagt sie höflich, fast förmlich steif, dreht sich aber nicht zu ihm um oder nimmt ihn sonst wie zur Kenntnis. Er ist nach Hause gekommen wie immer, und das genügt ihr. Irgendetwas stimmt nicht ganz an dieser Szene, ein Fremder bräuchte einige Zeit, um es herauszufinden, es ist ein wenig wie bei diesen Suchbilderpaaren in Zeitschriften, bei denen man winzige Unterschiede aufspüren muss, ein verändertes Detail im Laubwerk des Hintergrunds, eine verschobene Haarsträhne. Asif ist mit Yasmin vertraut und braucht nicht lange, bis er es erkennt: Die Teller, die sie penibel schrubbt, sind bereits sauber, wahrscheinlich hat sie einen Stapel aus dem Schrank oder aus der Spülmaschine genommen. Manchmal bügelt Yasmin bereits gebügelte Sachen, obwohl Asif aus offensichtlichen Gründen nicht ganz wohl dabei ist, wenn sie in seiner Abwesenheit das Bügeleisen benutzt. Und manchmal wäscht sie saubere Bettwäsche. Denn sie liebt das friedvolle, beruhigende Gefühl, das solche routinemäßigen Hausarbeiten begleitet, diese wunderbar gewöhnlichen Dinge, um die Mum sich gekümmert hat, wenn sie sich nicht um Yasmin kümmern musste.
    Asif sagt nichts dazu, stellt die Aktentasche ab und informiert seine Schwester: »Lila kommt um acht, wie du wolltest.«
    »Super, danke«, sagt Yasmin mechanisch und stellt den letzten gespülten Teller in den Geschirrständer.
    »V ielleicht bringt sie Wesley mit«, fügt Asif hinzu. »Oder sie lässt ihn in der Central Bar warten und kommt allein.« Er sieht, wie sich Yasmins Schultern verspannen, nicht, weil sie Wesley nicht mag, sondern weil sie die Ungewissheit nicht mag, ob er kommt oder nicht.
    »Super, danke«, sagt sie schließlich und erinnert sich diesmal, dass sie Asif dabei ansehen muss; ganz bewusst schaut sie ihm in die Augen. Yasmins eigene Augen sind haselnussbraun, klar und sehr schön; ihre Therapeuten haben ihr gelegentlich Komplimente über ihre schönen Augen gemacht, was Asif absolut unangebracht findet. Er lässt sie mit niemandem allein, den er nicht kennt und dem er nicht vertraut, Spezialist hin oder her, schon gar nicht mit einem dubiosen Fachidioten, der Bemerkungen über ihr Aussehen macht. Yasmin hatte noch nie einen Freund, und Asif befürchtet, dass bei ihrer Unerfahrenheit, Jugend und Verletzlichkeit die falsche Sorte Mann leichtes Spiel mit ihr hätte. Yasmin erwidert seinen Blick und zählt dabei innerlich »Mississippi eins, Mississippi zwei«, wie Mum es ihr beigebracht hat, dann befördert sie die Teller aus dem Ständer wieder in die Spüle, um sie noch einmal abzuwaschen.
    Asif sieht ihr eine Weile zu. Ob er sie fragen soll, wie ihr Tag gewesen ist? Lilas unvermuteter Seitenhieb schmerzt noch immer, und er überlegt, ob er Yasmin daran erinnern soll, dass ein wohlerzogener Mensch zu Beginn einer Unterhaltung den anderen erst einmal fragt, wie es ihm geht. Aber dann müsste er Yasmin darauf hinweisen, dass sie auch der Antwort zuhören und darauf eingehen muss. Das erscheint ihm plötzlich mühsam, er fühlt sich dieser Erziehungsarbeit nicht gewachsen. Am liebsten hätte er jetzt einfach ein Bier und würde ein bisschen fernsehen. Der Rest des Abends dehnt sich unangenehm vor ihm aus, wieder ein Abend, an dem er Yasmin unterhalten oder vielmehr auf sie aufpassen muss, während sie sich selbst unterhält. Der Hüter seiner kleinen Schwester. Die Freitage sind am schlimmsten, weil er weiß, dass er am nächsten Morgen nicht entkommen kann, sondern das ganze qualvolle Wochenende für sie da sein muss. Er wird gesundes Essen kochen, das Yasmin wahrscheinlich verschmähen wird – sie isst lieber Fertigmahlzeiten, säuberlich in diverse Fächer eines
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