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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen
Autoren: Roopa Farooki
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Alubehälters abgefüllt. Er wird pädagogisch wertvolle Aktivitäten planen, um Yasmin aus ihrem Zimmer, von ihrem Fernseher und Computer wegzulocken, wenigstens eine Weile. So müssen sich alleinerziehende Mütter fühlen, denkt er. Voller Unbehagen stellt er fest, dass er lieber an jedem anderen Ort der Erde wäre als hier.
    Asif versucht sich damit zu trösten, dass heute Abend immerhin Lila vorbeischaut, aber er weiß auch, dass sie nur kurz bleiben wird. Sich um Yasmin zu kümmern, betrachtet sie nicht als ihre Aufgabe; sie glaubt nicht einmal, dass Yasmin einen Aufpasser braucht – als hätte Yasmin die letzten neunzehn Jahre nur ein raffiniertes Spiel mit ihnen getrieben, einfach weil sie ein Ekel ist. Und so bleibt nur Asif, der sich kümmert und alles macht, der sich sorgt, wie er es sein ganzes Leben getan hat, erst recht seit dem Tod der Eltern. Kein Wunder, dass er sie hasst; nein, korrigiert er sich streng, ich empfinde Groll gegen sie. Es ist okay, seinen toten Eltern zu grollen, nicht aber, sie zu hassen, nur weil sie tot sind. Wieder einer dieser feinen Unterschiede, die er Yasmin erst erklären müsste.
     

     
    Asif bestellt das Take-away-Curry und holt ein Bier aus dem Kühlschrank. An der Kühlschranktür hängt ein Foto von seiner Mutter mit ihnen dreien als Kindern; die kleine Yasmin sitzt auf Mums Schoß, beugt sich aber ängstlich vor, um jede Berührung mit den Geschwistern zu vermeiden. Lila und er stehen abgedrängt an der Seite. Für ihn als Kind war seine Mutter die schönste Frau der Welt, schön wie eine Braut mit ihrem immer frischen Gesicht und der Rosentau-Haut. Aber wenn er das Foto jetzt betrachtet, erkennt er in ihrem Lächeln eine unnatürliche, angespannte, beinahe abwägende Ruhe, als fordere sie ihr Gegenüber heraus: Wag es bloß, mich oder meine Kinder zu kritisieren! Er hört noch ihre Stimme: »Beschäftige dich mit ihr, Asif; du musst auf sie zugehen, sonst lernt sie nie …«
    »W as lernt sie nie, Mum?«, hatte Asif mit pubertärem Missmut erwidert, weil sie den Satz absichtlich in der Luft hängen ließ. »Normal sein?« Da warf ihm seine Mutter einen so enttäuschten Blick zu, dass es ihm fast lieber gewesen wäre, sie hätte ihn geschlagen, wie sie manchmal Lila schlug. Eine genau bemessene, eher traurig als wütend ausgeteilte Ohrfeige, die ihr die Grenzen aufzeigte, dazu der leise Befehl: »Geh in dein Zimmer und denk darüber nach, was du da gesagt hast.« Dann presste Lila die Hand aufs schmerzende Gesicht und schrie schluchzend das Erstbeste, was ihr einfiel, diesen überstrapazierten Satz, der sie jetzt, Jahre später, wahrscheinlich verfolgte: »Ich HASSE dich, ich wünschte, du wärst TOT «, und rannte nach oben.
    Manchmal denkt Asif, er sollte das Foto abnehmen, aber das käme ihm vor wie eine Niederlage, als riefe ihm seine Mutter aus der sicheren Entfernung ihrer Wolke harfezupfend zu: Wusste ich’s doch! Wie einfach wäre es, wenn er sich nicht mit Yasmin abgäbe. Nur gleichgültig das Haus mit ihr teilte wie in einer WG , die über eine Anzeige im Internet zusammengefunden hat. Oder wenn sie nebeneinanderher lebten wie zwei Kleinkinder in der Krippe, die sich das Spielzeug teilen und nebeneinandersitzen, aber nicht miteinander spielen. Zwei Lebenswege, die parallel laufen und sich nie berühren. Sie könnte die ganze Woche am Computer sitzen, immer wieder dieselbe Episode der Simpsons gucken und dieselben Kleider tragen, ohne dass er darüber ein Wort verlöre; und er könnte zur Arbeit fahren, danach in den Pub gehen, mit einem netten Mädchen rumknutschen, betrunken nach Hause kommen und auf dem Sofa einschlafen, ohne darauf achten zu müssen, ob Yasmin gegessen, die Hausaufgaben gemacht oder ihre Arzttermine eingehalten hat. Beschäftige dich mit ihr, Asif, rät seine Mutter ihm kühl. Yasmin bemitleidet sich nicht, warum tust du’s?
    Asif seufzt, er schafft es nicht, ungehorsam zu sein, nicht einmal, wenn der Befehl nur noch eine Erinnerung ist. »Danke fürs Abwaschen, Yas«, sagt er. »W ie war’s heute in der Schule?«
    »Gut«, antwortet Yasmin automatisch, stellt mit einem Ruck den letzten doppelt gespülten Teller in den Ständer und wendet sich vom Spülbecken ab. Sie sieht Asif an, Mississippi eins, Mississippi zwei, verlässt die Küche und geht die Treppe hinauf.
    »W ar was Besonderes?« ruft ihr Asif beharrlich hinterher.
    Yasmin bleibt stehen und betrachtet ihre Füße; heute ist eine Menge passiert: Tilly ist zehn Minuten zu
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