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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen
Autoren: Roopa Farooki
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Fett. »Als ob, Asif. Sag mir einfach, was drinsteht.«
    Asif berichtet etwas verlegen: »Ein Fernsehproduzent will einen Dokumentarfilm über Yasmin und ihre Spezialbegabungen drehen. Die Filmemacher wollen auch uns dazu interviewen. Der Titelvorschlag ist Yasmin Murphy und wie sie die Welt sieht. «
    »W as?«, kreischt Lila ungläubig. »W ie bitte? Ich meine, was … ich meine, wieso ?« Die schiere Ungläubigkeit, mit der sie Yasmin ansieht, ist fast komisch; sie hätte nicht skeptischer reagieren können, wenn ihr Yasmin verkündet hätte, sie hätte beim Edinburgh Festival den Preis für die beste Kleinkunstperformance erhalten.
    »W ahnsinn, das ist ja super«, sagt Wesley zu Yasmin, und in Lila brodelt es: Warum ist bei ihm immer alles »W ahnsinn« und »super«? Wenn ihm ein Bus über den Fuß fahren würde, wäre das immer noch »W ahnsinn« und »super«? »Gratuliere«, ergänzt er noch und lächelt Yasmin herzlich an, was Lila noch mehr auf die Palme bringt.
    »Du gratulierst? Wozu denn? Es ist ja nicht so, dass sie gerade ihre Verlobung bekannt gegeben hätte«, sagt sie giftig, reißt Asif das Dokument aus der Hand und drückt dem Papier mit ihren Fettfingern glänzende, durchscheinende Flecke auf. Sie überfliegt es, blättert es rasch durch. »W as soll denn das, verdammt noch mal? Hört euch das mal an: Asperger – eine Gabe? Menschliche Bereicherung statt Behinderung? Und die wollen deine ›Spezialbegabungen‹ präsentieren – für wen halten die dich eigentlich, für ein verdammtes Rain Girl oder was?«
    »Das reicht, Lila«, murmelt Asif. »Du hast Yasmin schon oft genug beleidigt. Wir sind hier, um die Sache mit ihr zu besprechen.«
    Sein Beschwichtigungsversuch geht nach hinten los; mit flammenden Augen fährt Lila ihn an: »Aus welchem Loch bist du denn gekrochen, dass du dich aufspielst wie ’ne verdammte Mutterglucke?« Einen Moment zu spät merkt sie, was sie da gesagt hat, die Schmähung steht schon im Raum und lässt sich nicht mehr zurücknehmen. Wie ihr Refrain Ich- HASSE -dich-ich-wünschte-du-wärst- TOT vor vielen Jahren. Ihr Zorn fällt sofort in sich zusammen, und sie sinkt wieder in ihren Sessel zurück.
    Wesley ist peinlich berührt und versucht, den Vorfall mit Konversation zu überspielen. »Ich hab gar nicht gewusst, dass du Spezialbegabungen hast, Yasmin«, sagt er und wirft nervöse Blicke zu Lila hinüber. Er macht Anstalten, nach ihrer Hand zu greifen, aber als er ihr Gesicht sieht, zieht er seine Hand wieder zurück und trommelt stattdessen mit den Fingern auf den Tisch. Yasmin hat nicht begriffen, dass seine Bemerkung eine Antwort erfordert, da es sich nicht um eine direkte Frage handelte. Sie sieht dem Wirbel seiner Finger zu, eine La-Ola-Welle im Miniformat oder eine Fünf-Ton-Leiter; er hat elegante Hände, und das Oval seiner Fingernägel ist fast schon rechteckig, wie es gerade modern ist – der Nagelsalon in der High Street hat solche Nägel im Schaufenster. Ob er sich maniküren lässt? Sie überlegt, ob sie ihn fragen soll, da antwortet Asif für sie.
    »Yasmin hat viele Spezialbegabungen. Zum Beispiel ein erstaunliches Gedächtnis: Sie liest wirklich schnell und erinnert sich an alles, was sie je gelesen hat, an jedes Musikstück, das sie je gehört hat, sogar an jedes Kleidungsstück, das sie an jedem x-beliebigen Tag getragen hat. Gegenstände, die sie nur ein paar Minuten gesehen hat, kann sie unglaublich detailgetreu aufzeichnen. Außerdem ist sie super in Fremdsprachen …« Er verstummt, als er merkt, dass er genauso klingt wie Mum, wenn sie Yasmin anpries und die Leute wissen ließ, dass ihre jüngste Tochter begabt war und nicht etwa behindert, dass sie Bewunderung verdiente und nicht etwa Mitleid.
    »W as ist mit Mathe? Bist du auch gut in Mathe?« Wesley richtet sich diesmal direkt an Yasmin.
    »Nein, in Mathe bin ich nicht besonders«, antwortet sie schlicht. »Deshalb habe ich es auch nicht als Prüfungsfach genommen.«
    »Sie ist total gut in Mathe«, widerspricht Asif. »Sie kann zum Beispiel so gut wie alle dreistelligen Zahlen in die dritte Potenz setzen.«
    »Zahlen in die dritte Potenz setzen ist nicht dasselbe wie gut in Mathe zu sein, oder, Yas?«, schaltet sich Lila ein, die sich gegen ihren eigenen Willen in das Gespräch hineinziehen lässt.
    »Da hast du recht«, stimmt Yasmin ihr zu.
    »Anscheinend haben die Fernsehleute kein so großes Interesse an deinen arithmetischen Fähigkeiten«, sagt Asif. Er blättert das Dokument, das
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