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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen
Autoren: Roopa Farooki
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legt den Arm um sie. Als Kind hat er mit Lila das Zimmer geteilt, und es fällt ihr sehr leicht, sich an ihn zu schmiegen, wie es auch ihm leichtfällt, sie in seine Wärme zu hüllen wie früher, als sie noch ganz klein waren. Da hatten sie manchmal das Gefühl, sie hätten niemanden auf der Welt als nur einander.
    »Du bist kein Biest, Lila«, beruhigt Asif sie. »Nur manchmal ein bisschen gedankenlos.«
    »Ach was, ich bin ein Biest, Schluss, aus«, sagt Lila in seinen Pulli. »Ich will mich nicht rausreden, aber wenn ich wieder hier zu Hause bin, kommt das Biest in mir so richtig raus. Ich werde dann einfach so … wütend.«
    »Dabei musst du nicht mal mehr hier leben«, antwortet Asif, bemüht, ja keinen Vorwurf durchklingen zu lassen. Er weiß, was Lila meint. Dieses Haus ist ein wenig wie ein Gefängnis, aber auch wie ein Schrein, angefüllt mit allem, was in ihrer Kindheit schiefgelaufen ist. Eine Kindheit, in der sie ungleich behandelt wurden, ohne die Befriedigung, wirklich vernachlässigt zu werden, umschlossen von vier Ziegelmauern und oben von dem undichten Dach auf dem ausgebauten Dachgeschoss. Erinnerungen, die sie bis in die Gegenwart verfolgen, als sie nachts »Das ist ungerecht!« in ihre Kissen schluchzten und schnieften, dass es niemand hören konnte.
    »Ich wollte nicht so werden. So gemein und aggressiv und so. Aber ich glaube nicht, dass es nur meine Schuld ist.«
    »Mama und Papa, die versau’n dich«, sagt Asif mitfühlend; die Spannung löst sich, und beide unterdrücken das Lachen über den alten Spruch.

Schreibaby Babu
     
     
     

     

     
    Yasmin war eines dieser Babys, die dauernd schreien. Asif und Lila mochten sie nicht besonders, und als nach ihrer Ankunft der Reiz des Neuen verflogen war, diskutierten sie ebenso leidenschaftlich wie konfus, ob sie die Klinik dazu bringen könnten, Yasmin wieder zurückzunehmen. Asif war bei Yasmins Geburt vier, Lila erst drei, aber sie konnte sich schon genauso gut ausdrücken wie ihr großer Bruder. Manchmal sogar besser; er hatte spät zu sprechen begonnen, und sie verbesserte ihn oft, was ihn beschämte und erst recht verwirrte.
    An eine Zeit ohne Lila konnte sich Asif nicht mehr erinnern, aber manchmal betrachtete er staunend alte Fotos, die seine Eltern mit ihm allein zeigten, einem geliebten, knuffigen kleinen Prinzen mit dunkelbraunem Haarflaum und roten Pausbäckchen von den vielen Kartoffeln, auf die sein irischer Vater schwor. Auf einem Foto lag er schlafend auf den cremefarbenen Leintüchern des elterlichen Betts, mit nichts als seiner Windel bekleidet, die Ärmchen über den Kopf gestreckt und die Beinchen zu einem Kreis geschlossen, die Knie fielen auseinander, die Fersen berührten sich. Seine Mutter betrachtete ihn mit feierlichem Stolz und erlaubte sich ein ganz leises Lächeln, als sie sich zu seinem Kopf herunterbeugte. Er war schön, wurde schön, weil ihn jemand ganz und gar liebte, jemand, mit dem er ganz und gar verbunden war, wie jedes andere schöne Baby auf der Welt.
    Auf einem anderen Foto war er älter und kicherte vergnügt, als sein Vater ihn an den Füßen packte und kopfüber hielt, dass ihm das Ringel-T-Shirt mit Pu dem Bär über den runden Bauch rutschte und seinen Bauchnabel entblößte, während ihn seine hochschwangere Mutter an der Hand hielt und verschmitzt in die Kamera lachte. Dann waren da Fotos von ihm mit Lila, die gerade nach Hause gebracht worden war, Fotos, auf denen er sich beschützerisch, sogar liebevoll an das winzige Bündel drückte, wenn auch mit wenig Rücksicht auf die Zartheit der Neugeborenen, als wäre sie nur ein Plüschteddy oder Stoffhase aus seiner stetig wachsenden Kuscheltiersammlung. Aber in null Komma nichts war Lila genauso groß wie er und genauso sprachgewandt; und sie forderte die Zuneigung seiner Eltern genauso ein wie er. Doch dann wurden sie beide durch die Ankunft des neuen Babys beiseitegeschoben, dieses brüllenden, heulenden Babys, dessen hohes Geschrei einem durch Mark und Bein ging, als kratzte man mit einem Nagel über die Tafel im Kinderzimmer.
    Einmal saßen sie auf dem Sofa und guckten das Video mit den Kinderreimen. »Magst du Babu?«, fing er ein beiläufiges Gespräch mit Lila an.
    »Nein, ich HASSE Babu«, antwortete Lila sachlich.
    »Ich auch«, vertraute Asif ihr an, von ihrer starken Wortwahl unerschüttert. Alles wurde von Lila entweder geliebt oder gehasst. Da kam Mum mit Babu ins Zimmer, dem Schreibaby, das sofort wieder zu kreischen begann, sobald es zu
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