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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
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schnell, wie in einem Film, der auf Zeitraffer gestellt ist. Heimpi war den ganzen Tag mit Aussortieren und Packen beschäftigt. Mama war fast immer fort oder sie telefonierte. Sie mußte sich um die Vermietung des Hauses kümmern, die Möbel sollten, wenn sie abgefahren waren, eingelagert werden. Jeden Tag, wenn die Kinder aus der Schule kamen, sah das Haus leerer aus.
    Eines Tages halfen sie Mama gerade, Bücher zu packen, als Onkel Julius vorbeikam. Er betrachtete die leeren Regale und lächelte: »Die werdet ihr alle wieder einräumen!«
    In dieser Nacht erwachten die Kinder vom Lärm der Feuerwehrwagen, Es war nicht nur einer oder zwei, sondern mindestens ein Dutzend, die mit lautem Schellengeklingel die Hauptstraße entlangkamen. Als sie aus dem Fenster schauten, war der Himmel über der Innenstadt von Berlin leuchtend orangerot.
    Am nächsten Morgen redete jeder von dem Feuer, das den Reichstag zerstört hatte, das Gebäude, in dem das Deutsche Parlament zusammentrat. Die Nazis sagten, das Feuer sei von Revolutionären gelegt worden, und die Nazis seien die einzigen, die solche Vorkommnisse verhindern könnten - daher müsse ihnen jeder bei den Wahlen seine Stimme geben. Aber Mama hörte, daß die Nazis selber das Feuer gelegt hätten.
    Als Onkel Julius an diesem Nachmittag kam, sagte er zum ersten Mal nichts davon, daß Mama in ein paar Wochen wieder in Berlin sein werde.
    Die letzten Tage, die Anna und Max in der Schule verbrachten, waren sehr seltsam. Da sie niemandem von ihrer Abreise erzählen durften, vergaßen sie es während der Schulstunden immer wieder selbst. Anna freute sich, als sie eine Rolle in einem Stück bekam, das in der Schule aufgeführt werden sollte, und es fiel ihr erst später ein, daß sie in Wirklichkeit nie darin auftreten würde. Max nahm die Einladung zu einer Geburtstagsgesellschaft an, an der er nie würde teilnehmen können.
    Dann kamen sie nach Hause in die immer leereren Zimmer mit den Holzkisten und Koffern, zum endlosen Aussortieren von Besitztümern. Am schwierigsten fiel es ihnen, zu entscheiden, was von den Spielsachen mitgenommen werden sollte. Sie wollten natürlich die Spiele-Sammlung mitnehmen, aber sie war zu groß.
    Am Ende blieb nur Platz für ein paar Bücher und eines von Annas Stofftieren. Sollte sie sich für das rosa Kaninchen entscheiden, das ihr Spielgefährte gewesen war, solange sie sich erinnern konnte, oder für ein neues wolliges Hündchen? Es war doch schade, den Hund zurückzulassen, da sie noch kaum Zeit gehabt hatte, mit ihm zu spielen, und Heimpi packte ihn ihr ein. Max nahm seinen Fußball mit.
    Mama sagte, wenn es sich herausstellen sollte, daß sie sehr lange in der Schweiz bleiben müßten, könnte man jederzeit Sachen nachschicken lassen.
    Als am Freitag die Schule aus war, ging Anna zu ihrer Lehrerin und sagte ruhig: »Ich komme morgen nicht in die Schule. Wir fahren in die Schweiz.«
    Fräulein Schmidt schien gar nicht so überrascht, wie das Anna erwartet hatte, sondern nickte nur und sagte: »Ja ... ja ... ich wünsche dir Glück.«
    Auch Elsbeth schien nicht sehr interessiert. Sie sagte, sie wünschte, sie könnte auch in die Schweiz fahren, aber das wäre nicht sehr wahrscheinlich, weil ihr Vater bei der Post arbeitete.
    Am schwersten war es, sich von Günther zu trennen. Nachdem sie zum letzten Mal zusammen aus der Schule gekommen waren, brachte Max ihn mit zum Mittagessen, obgleich es nur Butterbrote gab, denn Heimpi hatte keine Zeit gehabt, zu kochen. Nachher spielten sie ziemlich lustlos Verstecken zwischen den gepackten Kisten. Es machte keinen Spaß, denn Max und Günther waren so bedrückt, und Anna mußte sich Mühe geben, um ihre Aufregung zu unterdrücken. Sie hatte Günther gern, und es tat ihr leid, ihn zu verlassen. Aber sie konnte immer nur denken: Morgen um diese Zeit sitzen wir schon im Zug ... am Sonntag um diese Zeit sind wir in der Schweiz ... und am Montag um diese Zeit...?
    Schließlich mußte Günther nach Hause. Heimpi hatte während des Packens eine Menge Kleidungsstücke für seine Mutter aussortiert, und Max ging mit ihm, um ihm tragen zu helfen. Als er zurückkam, schien er fröhlicher. Er hatte solche Angst davor gehabt, von Günther Abschied nehmen zu müssen.
    Nun war wenigstens das vorüber.
    Am nächsten Morgen waren Max und Anna fertig, lange bevor es Zeit war, zu gehen. Heimpi sah nach, ob ihre Nägel sauber seien, daß beide ein Taschentuch hatten - Anna bekam zwei, denn sie war etwas erkältet - und
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