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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
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Kühe?... Da sagte Mama: »Und dann noch eins.« Ihre Stimme klang jetzt sehr ernst.
    »Dies ist das allerwichtigste«, sagte Mama, »und wir brauchen dabei eure Hilfe. Papa möchte nicht, daß irgend jemand erfährt, daß er Deutschland verlassen hat. Ihr dürft es also niemandem verraten. Wenn euch jemand nach ihm fragt, müßt ihr sagen, daß er noch mit Grippe im Bett liegt.«
    »Darf ich es nicht einmal Günther sagen?« fragte Max.
    »Nein, weder Günther noch Elsbeth noch sonst jemandem.«
    »Also gut«, sagte Max. »Aber es wird nicht leicht sein. Die Leute fragen immer nach ihm.«
    »Warum dürfen wir es denn niemandem sagen?« fragte Anna. »Warum will Papa nicht, daß es jemand weiß?«
    »Sieh mal«, sagte Mama. »Ich habe es euch alles erklärt, so gut ich konnte. Aber ihr seid beide noch Kinder. Papa glaubt, die Nazis könnten ... könnten uns Schwierigkeiten machen, wenn sie wissen, daß er weg ist. Darum will er nicht, daß ihr darüber redet. Also, werdet ihr tun, um was er euch bittet oder nicht?«
    Anna sagte, natürlich würde sie es tun.
    Dann schickte Heimpi die beiden zur Schule. Anna machte sich Sorgen darüber, was sie sagen sollte, falls sie jemand fragte, warum sie zu spät kam, aber Max meinte: »Sag einfach, Mama hatte verschlafen - das hat sie doch auch.«
    Aber es interessierte sich niemand sehr dafür. Die Klasse war in der Turnhalle und übte Hochsprung, und Anna sprang höher als alle anderen. Sie war so froh darüber, daß sie für den Rest des Morgens beinahe vergaß, daß Papa in Prag war.
    Als es Zeit war, nach Hause zu gehen, fiel ihr alles wieder ein, und sie hoffte nur, daß Elsbeth keine unbequemen Fragen stellen würde - aber Elsbeth hatte wichtigere Dinge im Kopf. Ihre Tante wollte mit ihr am Nachmittag in die Stadt gehen und ihr ein Jojo kaufen. Was für eins sollte sie sich wünschen, was riet ihr Anna? Und welche Farbe? Die hölzernen taten es, im ganzen gesehen am besten, aber Elsbeth hatte ein leuchtend orangefarbenes Jojo gesehen. Es war zwar aus Blech, aber die Farbe hatte es ihr angetan. Anna sollte nur ja oder nein sagen.
    Als Anna zum Mittagessen nach Hause kam, nahm dort alles seinen gewohnten Gang. Am Morgen hatte sie erwartet, es werde alles anders sein.
    Weder Anna noch Max hatten Aufgaben auf, und es war zu kalt, um hinauszugehen. Sie setzten sich darum am Nachmittag auf den Heizkörper im Kinderzimmer und schauten aus dem Fenster. Der Wind rappelte an den Fensterläden und jagte die Wolken in großen Fetzen über den Himmel.
    »Vielleicht schneit es wieder«, sagte Max.
    »Max«, fragte Anna, »möchtest du gern in die Schweiz gehen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Max. Er würde so vieles vermissen. Günther ... die Bande, mit der er Fußball spielte ... die Schule... Er sagte: »Ich vermute, wir würden in der Schweiz auch zur Schule gehen.«
    »O ja«, sagte Anna. »Ich glaube, es würde Spaß machen.« Sie schämte sich beinahe, es zuzugeben, aber je länger sie darüber nachdachte, desto lieber wollte sie hin. In einem unbekannten Land zu sein, wo alles anders war - in einem anderen Haus zu wohnen, in eine andere Schule mit anderen Kindern zu gehen - sie wünschte sich das alles kennen zu lernen, und obgleich sie wußte, daß es herzlos war, erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Es wäre ja auch nur für sechs Monate«, sagte sie entschuldigend, »und wir wären alle beisammen.«
    Der folgende Tag verlief normal. Mama bekam einen Brief von Papa. Er war gut in einem Hotel in Prag untergebracht, und es ging ihm viel besser. Dies machte allen das Herz leichter.
    Ein paar Leute fragten nach Papa, waren aber ganz zufrieden, als die Kinder sagten, er habe Grippe. Die Grippe war so verbreitet, daß sich niemand wunderte.
    Das Wetter blieb kalt und die Pfützen, die beim Tauwetter entstanden waren, froren wieder fest zu - aber es schneite immer noch nicht.
    Am Samstagnachmittag endlich wurde der Himmel dunkel, und plötzlich begann es in dichten treibenden, wirbelnden weißen Flocken zu schneien. Anna und Max spielten mit den Kindern der Kentners, die ihnen gegenüber wohnten. Sie hielten inne, um den Schnee fallen zu sehen.
    »Wenn es nur etwas früher angefangen hätte«, sagte Max, »ehe der Schnee hoch genug liegt zum Rodeln, ist es dunkel.«
    Als Anna und Max um fünf Uhr nach Hause gingen, hatte es eben aufgehört zu schneien. Peter und Marianne Kentner brachten sie zur Tür. Der Schnee bedeckte die Straße mit einer dichten, trockenen, knirschenden
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