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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Autoren: Judith Kerr
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Decke, und der Mond schien darauf.
    »Wir könnten doch beim Mondlicht rodeln«, sagte Peter.
    »Glaubst du, das würde man uns erlauben?«
    »Wir haben es schon früher getan«, sagte Peter, der vierzehn war. »Geht und fragt eure Mutter.«
    Mama sagte, sie könnten mitgehen, müßten aber zusammenbleiben und um sieben wieder zu Hause sein. Sie zogen ihre wärmsten Sachen an und machten sich auf den Weg.
    Der Grunewald lag nur eine Viertelstunde weit entfernt, und dort bildete ein bewaldeter Abhang eine ideale Schlittenbahn hinunter auf einen zugefrorenen See. Sie hatten hier schon oft gerodelt, aber da war es immer hell gewesen, und man hatte die Rufe der anderen Kinder gehört. Jetzt war nur das Singen des Windes in den Bäumen zu vernehmen, das Knirschen des frischen Schnees unter ihren Füßen und das sanfte Schwirren der Schlitten, die sie hinter sich herzogen.
    Über ihnen war der Himmel dunkel, aber der Boden glänzte bläulich im Mondlicht, und die Schatten der Baume lagen wie schwarze Bänder darauf.
    Am oberen Rande des Abhangs blieben sie stehen und blickten nach unten. Niemand war vor ihnen hier gewesen. Der schimmernde Schneepfad erstreckte sich unberührt und vollkommen weiß bis ans Seeufer hinunter.
    »Wer fährt zuerst?« fragte Max.
    Anna hatte gar nicht die Absicht gehabt, aber jetzt tanzte sie auf und ab und rief: »O bitte, bitte, laßt mich!«
    Peter sagte: »Also gut - die Jüngste zuerst.«
    Damit war sie gemeint, denn Marianne war zehn.
    Sie setzte sich auf ihren Schlitten, zog das Steuerseil fest an, tat einen tiefen Atemzug und stieß ab. Der Schlitten setzte sich ziemlich langsam in Bewegung.
    »Los«, schrien die Jungen hinter ihr her. »Stoß dich noch mal ab.«
    Aber sie tat es nicht. Sie behielt die Füße auf den Kufen und ließ den Schlitten sich langsam beschleunigen. Der pulvrige Schnee stäubte um sie herum in die Höhe. Die Bäume glitten vorüber, zuerst langsam, dann immer schneller. Das Mondlicht tanzte um sie herum. Schließlich war es, als flöge sie durch eine silbrige Masse. Dann stieß der Schlitten gegen die Schwelle am Fuß des Abhangs, schoß darüber hinweg und landete auf dem Eis des Sees. Es war herrlich.
    Die anderen kamen kreischend und schreiend hinter ihr her.
    Sie kamen mit dem Kopf voran, mit dem Bauch auf dem Schlitten liegend, so daß der Schnee ihnen direkt ins Gesicht stäubte. Dann fuhren sie, auf dem Rücken liegend, die Füße nach vorn ausgestreckt, und die schwarzen Wipfel der Tannen schienen nach hinten wegzufliegen. Dann drängten sich alle auf einem Schlitten zusammen und kamen dadurch so in Fahrt, daß der Schlitten beinahe bis in die Mitte des Sees schoß. Nach jeder Fahrt stapften sie mühsam keuchend den Abhang wieder hinauf und zogen die Schlitten hinter sich her. Trotz der Kälte schwitzten sie in ihren Wollsachen.
    Dann fing es wieder an zu schneien. Zuerst bemerkten sie es kaum, aber dann erhob sich ein Wind, der ihnen die Flocken ins Gesicht blies. Plötzlich blieb Max mitten auf dem Abhang, den sie gerade wieder mit dem Schlitten hinaufstiegen, stehen und sagte:
    »Wie spät ist es? Sollten wir nicht zurückgehen?«
    Niemand hatte eine Uhr, und sie merkten plötzlich, daß sie keine Ahnung hatten, wie lange sie schon hier waren. Vielleicht war es schon sehr spät, und die Eltern warteten zu Hause.
    »Kommt«, sagte Peter, »wir wollen uns sofort auf den Weg machen.« Er zog die Handschuhe aus und schlug sie gegeneinander, um den verkrusteten Schnee abzuschütteln. Seine Hände waren rot vor Kälte. Auch Annas Hände waren rot, und sie merkte erst jetzt, daß sie eiskalte Füße hatte.
    Auf dem Rückweg war es kalt. Der Wind blies ihnen durch die feuchten Kleider, und da der Mond jetzt hinter Wolken verborgen war, lag der Pfad schwarz vor ihnen. Anna war froh, als sie aus den Bäumen traten und wieder auf der Straße waren. Bald kamen Straßenlaternen, Häuser mit erleuchteten Fenstern, Läden. Sie waren beinahe zu Hause.
    Das erleuchtete Zifferblatt einer Kirchturmuhr zeigte ihnen die Zeit. Es war doch noch nicht ganz sieben.
    Sie seufzten erleichtert auf und gingen jetzt langsamer. Max und Peter fingen an, über Fußball zu sprechen. Marianne band zwei Schlitten aneinander, hüpfte wild auf der leeren Fahrbahn vor ihnen her und hinterließ im Schnee ein Netzwerk sich überschneidender Spuren. Anna humpelte hinterher, weil ihr die kalten Füße weh taten.
    Sie konnte sehen, wie die Jungen vor ihrem Haus stehen blieben; sie redeten immer
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