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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen
Autoren: A Beer
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nicht für den Tod eines inzwischen eindeutig wehrlosen Menschen verantwortlich sein. » Zurück«, zischte er. » Zurück, verdammt!«
    Als die Bestie den vertrauten Zug an der Kette spürte, hielt sie inne und knurrte wütend. Jeder andere wäre bei diesem Geräusch, das den Holzboden erzittern ließ, vor Angst gelähmt gewesen.
    Aber nicht Gabriel. Dies war seine Bestie. Und ob sie sich nun in seinem Schatten befand oder nicht– er hatte mit ihr einen harten Kampf um die Regeln ausgefochten, denen ihre Beziehung unterlag, und er würde nicht dulden, dass sie diese Regeln verletzte.
    Geifernd und lechzend verharrte das Biest. Dr. Roth, der inzwischen geduckt auf dem Boden kauerte, sah aus entsetzten Augen zu ihm hinauf.
    » Töte mich nicht…« Seine Stimme war kaum noch mehr als ein furchtsames Wispern zwischen spröden Lippen, und sein Gesicht glich einem Totenschädel, über den sich fahle Haut wie rissiges Pergament spannte.
    Gabriel warf ihm einen eisigen Blick zu. » Raus aus meiner Wohnung«, befahl er. » Und wagen Sie es nie wieder, einen Schatten zu berühren.«
    Der Doktor sagte kein Wort mehr. Er rappelte sich auf und floh, so schnell es seine vertrockneten Gliedmaßen zuließen, während das Knurren der Bestie und das klickernde Lachen des Hunderthändigen durch die Schatten hallten und ihn vertrieben.
    Zitternd blieb Gabriel stehen, wo er war. Ihm war schwindelig, und er glaubte, jeden Augenblick ohnmächtig zusammenbrechen zu müssen. Aber nicht jetzt. Nicht, so lange die Situation nicht völlig unter Kontrolle war.
    » Und du«, sagte er zu seinem Biest und ruckte energisch an der Kette, » gehst gefälligst dorthin zurück, wo du hingehörst.«
    Für einen Moment noch spürte er Widerstand. Das Biest starrte ihn an, und zum ersten Mal in Gabriels Leben stand er ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Gabriel spürte, wie es sich wand. In diesem Augenblick wäre es der riesigen Kreatur ein Leichtes gewesen, ihn zu überwältigen.
    Aber er hatte keine Angst. Er kannte sie zu gut. Sie würde ihn niemals verraten, und sie beide wussten es.
    Mit einem letzten Grollen begann die Bestie zu verblassen, verschmolz mit Gabriels Schatten und kehrte auf ihre Seite der Realität zurück. Gleichzeitig spürte er, wie sich in ihm ein Knoten löste. Eine schwarze, zähe Flüssigkeit rann aus seinem rechten Hosenbein, floss über den Boden und verfestigte sich ganz allmählich zu der Gestalt des Wurms, der nach und nach aus Gabriels Schatten gedrängt wurde, je weiter die Bestie wieder hineinglitt.
    Ich bin dir etwas schuldig. Die Stimme des Wesens knarrte und kratzte und vibrierte in den zuckenden Beißwerkzeugen. Der vordere Teil seines Körpers richtete sich auf, um Gabriel zu fixieren. Was ist dein Wunsch?
    Gabriel musste alle Willenskraft aufbringen, um nicht auf der Stelle zu Boden zu sinken. Jetzt, wo es vorbei war, fühlte er sich vollkommen ausgelaugt.
    » Verschwinde einfach«, murmelte er. » Und komm nie wieder in meine Nähe.«
    Er wusste, was seine Worte für Konsequenzen haben würden. Der Wurm würde losziehen, irgendwo irgendeinen unschuldigen Menschen anfallen und dessen Schatten vernichten, um seinen Platz einzunehmen. Aber Gabriel musste zugeben, dass ihm das in diesem Augenblick herzlich egal war. Er wollte nichts anderes, als sich hinzusetzen. Einige Sekunden noch starrte ihn der Hunderthändige aus kalten Augen an. Dann zischte er leise. Nie wieder. Damit ist meine Schuld erfüllt.
    Noch während er sprach, begannen die Konturen seines Körpers zu verschwimmen, sich langsam aufzulösen und davonzutreiben. Seine Worte hallten noch einen Moment lang nach.
    Nie wieder.
    Dann war der Wurm fort.
    Gabriels Knie knickten ein, kaum dass er wieder allein im Raum war. Mit Mühe schaffte er es, zum Sofa zurückzukriechen, wo hinter dem Loch im Schatten Marie die Treppen zum Turm hinaufstieg. Erleichtert schnappte Gabriel nach Luft. Sie lebte, und es ging ihr gut! Er legte den Kopf auf ihre Brust und spürte den beruhigenden Rhythmus ihres Herzschlags an seiner Wange. Er musste ausruhen. Er konnte nicht mehr.
    Dünne Finger griffen aus der Dunkelheit nach seinen Schultern. Die Berührung fühlte sich beinahe zärtlich an. » Pass auf sie auf«, murmelte Gabriel. » Weck mich, wenn sie mich braucht.«
    Ein Grummeln, das sich beinahe anhörte wie das Schnurren einer riesigen Katze, antwortete ihm. Er fühlte den Atem der Kreatur seinen Nacken streifen. Sie war hier, in seinem Schatten, und sie würde
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