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Als der Meister starb

Als der Meister starb

Titel: Als der Meister starb
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wenn ich nicht Randolph Montague getroffen hätte.
    Randolph Montague, der Hexer. Ich habe erst später erfahren, dass man ihn so nennt. Als ich ihn das erste Mal traf, stand er mit dem Rücken zu mir in einer lässigen Pose, die seiner eleganten Kleidung und seiner distinguierten Erscheinung widersprach, gegen den Pfahl einer Gaslaterne gelehnt und hatte eine seiner dünnen schwarzen Zigarren im Mundwinkel. Und ich lag zwei Schritte hinter ihm im Schutz einer Mülltonne im Dreck und überlegte, wie ich ihn am sichersten bewusstlos schlagen konnte, um ihm die Geldbörse abzunehmen. Ich wunderte mich ein wenig, was ein Mann wie er kurz nach Mitternacht in einer so verrufenen Gegend verloren haben mochte, noch dazu allein und offensichtlich unbewaffnet. Er wäre nicht der erste Fremde, der aus falsch verstandener Abenteuerlust alle guten Ratschläge in den Wind schlug und nach Dunkelwerden hier herunter zum Hafen kam, um später auf irgendeiner Cocktailparty erzählen zu können, wie mutig er doch war. Nun, er würde sich wundern, wenn er am nächsten Morgen mit brummendem Schädel und leerer Brieftasche aufwachte.
    Vorsichtig richtete ich mich hinter meiner Deckung auf, spähte sichernd die Straße hinab und packte den Sandsack, den ich ihm über den Schädel zu ziehen gedachte, etwas fester. Der Fremde regte sich nicht, sondern paffte weiter an seiner Zigarre und schien darauf zu warten, dass ihm der Himmel auf den Kopf fiel (was er gleich tun würde). Aber ich blieb weiter reglos hocken und wartete. Ich hatte Zeit; die Streife war erst in gut zwei Stunden fällig, und kein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hatte und diese Gegend kannte, hätte sich nach Dunkelwerden hierher getraut. Ich beobachtete ihn fast eine Viertelstunde, ohne dass er sich bewegt hätte. Schließlich schnippte er seine Zigarre fort, nahm eine neue aus einem schmalen silbernen Etui, das er in der Westentasche trug – ich registrierte es genau und fügte der Liste der Dinge, die ich am nächsten Morgen meinem Hehler bringen würde, einen weiteren Posten hinzu – und riss ein Streichholz an.
    Und genau in diesem Moment sprang ich vor.
    Ich weiß bis heute nicht, wie er es gemacht hat. Eigentlich weiß ich nicht einmal sicher, was er gemacht hat; der Abstand zwischen ihm und mir betrug nicht einmal ganz zwei Schritte, und ich bin sicher, dass ich nicht den geringsten Laut verursacht hatte. Wenn man acht Jahre in den Slums von New York überlebt hat, dann hat man gelernt, sich wie eine Katze zu bewegen – aber das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich auf dem Rücken lag, nach Luft schnappte und auf die Klinge des Degens starrte, den Montague mir gegen die Kehle hielt. Und dabei lächelte er immer noch und paffte an seiner Zigarre, als wäre nichts geschehen.
    Er hätte mich damals ins Zuchthaus bringen können. Die Gerichte in den Staaten sind verdammt kleinlich – ein sandgefüllter Strumpf wie der, den ich bei mir hatte, gilt mit etwas Pech und einem Richter, der Zahnschmerzen und eine grantige Frau zu Hause hat, bereits als tödliche Waffe, und mein Überfall hätte mir im besten Fall fünf Jahre (und im schlechtesten fünfundzwanzig) eingebracht, hätte Montague mich der Polizei ausgeliefert. Er hätte mich auch auf der Stelle töten können; niemand hätte auch nur eine misstrauische Frage gestellt.
    Aber er tat nichts dergleichen, sondern steckte im Gegenteil seinen Degen ein, half mir auf die Füße – und bot mir mit dem freundlichsten Lächeln der Welt eine Zigarre an.
    »Sie haben ziemlich lange gebraucht, um sich zu Ihrem Entschluss durchzuringen, junger Mann«, sagte er. Es waren die ersten Worte, die er zu mir sprach, und ich werde sie niemals vergessen. Er hatte gewusst, dass ich hinter ihm auf der Lauer lag, die ganze Zeit über, und er hatte nicht den geringsten Versuch gemacht, mich daran zu hindern. Ich ignorierte die Zigarre, die er mir anbot, weniger, weil ich sie nicht mochte, als vielmehr, weil ich viel zu perplex war, um überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können, aber Montague grinste mich weiter an und fragte mich auf seine schon fast übertrieben höfliche Art, ob ich ihm zu seinem Wagen folgen würde.
    Er brachte mich in ein Lokal – einer dieser piekfeinen teuren Schuppen, in denen ein halbes Dutzend Kellner in gestärkten Hemden herumschwirren und ein Glas Wein soviel kostet, wie unsereins in einer Woche verdient –, und wir redeten. Zuerst sprach er, aber nach und nach brachte er mich
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