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Alraunes Todeskuß

Alraunes Todeskuß

Titel: Alraunes Todeskuß
Autoren: Jason Dark
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er an das Leid der Eltern dachte. Zwar war er kein Vater, aber er konnte sich doch in die Menschen hineinversetzen. Wenn die kleinen bleichen Gestalten in die Kühlkammer geschoben wurden, lief ihm jedesmal eine Gänsehaut über den Rücken, und er mußte immer hart an sich halten, um nicht durchzudrehen.
    Quinn stand auf.
    Noch eine Stunde bis zum Feierabend. Bevor es soweit war, wollte er noch seine kleine Runde machen. Das heißt, er ging in die Totenkammer und schaute dort nach dem Rechten, wobei eigentlich nichts passieren oder sich verändern konnte, denn die Toten waren und blieben tot. Einen Scheintoten hatte man ihm im Laufe der Jahre noch nicht untergeschoben, das stand fest.
    Er schaltete den Apparat aus, bevor er sich erhob und seine müden Beine streckte.
    Er zerrte die Schiebetür seines Büros auf und schaute in den Flur, während er sich dabei am Kopf kratzte.
    Es herrschte – wie immer – Totenstille.
    Sobald man diesen Bereich des Krankenhauses betrat, wurde alles anders. Hier gab es keine Besucher, hier wurde kein Fremder hingeführt, so etwas verschwieg man am besten, das wollte auch niemand sehen.
    Dafür hatte Quinn Verständnis.
    Er betrat den Flur. An der linken Seite führte er bis zum Aufzug hin. An der rechten endete er genau vor der Stahltür, hinter der dann die Toten lagen.
    Quinn hatte sich daran gewöhnt, den kalten Raum zu betreten. Das war bei ihm ungefähr so, als würde er in ein ihm bekanntes Wohnzimmer hineingehen, um dort irgendwelche Menschen zu begrüßen. Bevor er sich auf den Weg machte, griff er in die rechte Tasche seines grauen Kittels. Dort steckte immer eine kleine Flasche mit Whisky. Er holte sie hervor, nahm einen Schluck und steckte sie wieder weg. Erst dann ging er auf die Tür zu und entriegelte sie. Der große Sperriegel stand schräg, und er mußte schon einiges an Kraft aufwenden, um ihn nach unten zu zerren.
    Dann zerrte er die schwere Tür auf, und er hörte wieder das »Schwapp«, als die Luft entwich.
    Er blieb stehen.
    Die Kälte floß ihm entgegen. Es war hier unten eine andere Kälte als draußen im Winter. Sie war für ihn nicht normal, denn sie schien gefüllt zu sein mit einer schmierigen Flüssigkeit oder mit dunklen Nebelschlieren, die ihm entgegenwehten. Eine derartige Kälte konnte man greifen wie dünne Stoffbahnen.
    Der Eindruck war in all den Jahren geblieben, und daran würde sich auch nichts mehr ändern.
    An der rechten Seite lag der Lichtschalter. Er war ziemlich breit, und Quinn fand ihn mit zielsicherem Griff. Die Tür hinter ihm fiel mit einer trägen Bewegung wieder bis an den Rand heran, ohne jedoch richtig zu schließen.
    An der Decke zuckte es, als läge dort jemand, der mit einem Blitzlicht fotografierte. Die Helligkeit war nicht strahlend, aber kalt, und sie zeichnete jede Kontur sehr blaß nach. Auch die Tische, auf denen die Toten lagen.
    Vier waren es diesmal.
    Sie lagen nebeneinander, mit hellen Tüchern bedeckt, die nicht mal bis zu den Gesichtern reichten. Ebenso frei lagen die Füße. An ihnen hingen auch die kleinen Kärtchen mit den aufgemalten Namen.
    Elliot ging sie ab. Er schaute auf die Karten, dann auf die Füße. Im Laufe der langen Jahren war er zu einem Fachmann geworden, was die Füße der Toten anging. Er konnte genau sagen, wie der Mensch früher gelebt hatte, ob er viel oder wenig gelaufen war und ob er stark geraucht hatte oder nicht.
    Es hatte auch Zeiten gegeben, da war ihm beim Betreten dieser kleinen Totenhalle nicht so wohl gewesen. Da hatte Quinn immer pfeifen müssen, um seine eigene Verlegenheit zu überbrücken. Das war schon lange vorbei. Er versah seinen Job mit Routine.
    Zwei Frauen und zwei Männer waren hier unten aufgebahrt worden. Ein Blick in das Gesicht der ersten Frau sagte ihm, daß diese die Siebzig schon erreicht hatte, und Quinn kriegte eine leichte Gänsehaut, wenn er daran dachte, wie schnell zehn Jahre um waren, dann wurde er auch siebzig. Er strich über das Haar in seinem Nacken, atmete schnaufend durch und ging weiter auf den nächsten Toten zu, dessen Gesicht ebenso kahl war wie die Wand des Totenhauses.
    Wieder eine Frau. Diesmal jünger. Opfer eines Verkehrsunfalls, das wußte er aus den Unterlagen. Die Spuren waren noch nicht verwischt worden. Er mußte zugeben, daß dies kein Anblick für schwache Nerven war, denn die Frau hatte es am Kopf erwischt. Zudem war ihr Brustkorb gequetscht worden.
    Selbst Quinn schauderte, bevor er sich dem nächsten Toten zuwandte, einem
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