Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alptraum-Sommer

Alptraum-Sommer

Titel: Alptraum-Sommer
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
waren wie Antennen, die an ihren Enden mit kleinen Klauen ausgestattet waren, nicht viel dicker als Grashalme. Aber sehr fest, hart und auch spitz.
    Demnach gefährlich.
    Auch Gulliver war damals im Reich Liliput von Zwergen überwältigt worden. Er erlebte hier das gleiche, obwohl Culver an so etwas nie geglaubt hatte.
    Das war einfach verrückt.
    Er räusperte sich. Dabei hatte er reden wollen, das war ihm nicht möglich. Etwas hatte seine Kehle geschlossen und die Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen.
    Statt dessen durchflutete ihn das kalte Grauen, als zwei dieser lebenden Wurzeln sich auf seiner Brust bewegten und ihre Klauen dabei den Drillichstoff umklammerten. Sie hatten ihn in scharfe Falten gelegt, an denen sie sich auch hochziehen konnten.
    Das wollten sie…
    Sie kamen näher und näher.
    Seine Kehle lag frei.
    Ben Culver weinte jetzt. Er war fertig, er bereute, er flehte die kleinen Erdmännchen an, daß er es nicht gewollt hatte, daß es ihm leid tat, daß er gern Buße tun würde…
    Sie aber ließen sich nicht beirren. Sie hatten ihren Weg einmal eingeschlagen und setzten ihn auch fort. Gnadenlos, ohne aufzuhören.
    Schon bald spürte Culver ihre kleinen, zangenartigen Klauen nicht mehr auf seiner Brust. Sie waren höher gewandert und hatten seine Kehle erreicht.
    Erste Wunden entstanden, aus denen das warme Blut des Mannes nach unten sickerte.
    Ben Culver konnte sich auch jetzt nicht bewegen. Nach wie vor hing er in einer Schräglage, den Kopf nach hinten gezerrt, damit sein Hals freilag.
    Die lebenden Wurzeln bissen sich fest.
    Nicht nur in seinem Hals, er spürte die Bisse an den Händen, den Armen und den Waden ebenso wie an seinem Bauch. Jeder für sich war nicht sehr heftig oder allzu schmerzhaft, aber gemeinsam vereinigten sie sich zu einer wahren Symphonie aus Schmerzströmen, die durch seinen Körper rasten und ihn peinigten.
    Das war die Folter vor dem Tod… Er verlor Blut.
    Er hörte ein Saugen, Schmatzen und Schlürfen. Waren die Wichtelmänner damit beschäftigt, sein Blut zu trinken? Konnte man sie vielleicht als Waldvampire bezeichnen?
    Es wollte ihm einfach nicht mehr gelingen, noch klar zu denken. Eine fremde Kraft schien die Gedanken aus seinem Geist herausgesaugt zu haben. Gleichzeitig damit war die Schwäche gekommen. So wie er mußte sich ein Schmetterling im Oktober fühlen, wenn ihn die Kraft der Sonne verlassen hatte.
    »B… bitte…«, keuchte er.
    Es war das letzte Wort in Culvers Leben. Etwas erwischte seinen Hals mit einer kaum beschreibbaren Grausamkeit. Der folgende Schmerz tötete einfach alles ab.
    Die Schatten der Bäume vereinigten sich zu der tiefen Dunkelheit, aus der es kein Entrinnen mehr gab und die ihn schließlich hinein in den Tod riß.
    Der Wald und der Alptraum-Sommer hatten ihr drittes Opfer gefunden.
    ***
    Der Tag war warm gewesen, schon heiß, und viele Menschen hatten sich nach der Dämmerung und der kühleren Dunkelheit gesehnt, die dann gekommen war.
    Jetzt lag die Landschaft in einem tiefblauen Schatten, nur mäßig erhellt vom Licht der Sterne oder den einsamen Lichtern des kleinen Ortes, der an den Barrow River grenzte.
    Ich saß am Heck des Hausbootes und starrte auf das Wasser. Es lag ruhig da, wie ein dunkler Spiegel. Ich sah auch keine Insekten mehr, die wilde Tänze aufführten, und hörte nur an ihrem Summen, daß sie noch da waren.
    Urlaubsstimmung in Südirland. Die Romantik einer Frühsommernacht am Fluß.
    Das alles stimmte. Es stimmte auch die Ruhe, die Entspannung, die Natur, die sich von den Menschen und ihren Häusern überhaupt nicht gestört fühlte, und trotzdem war es für mich und meinen Partner kein Urlaub, der uns an den Barrow River und zu dem kleinen Ort Berris getrieben hatte.
    Es war ja chic, sich ein Hausboot zu mieten und die irischen Flüsse zu befahren. Auch wir hatten uns dafür entschieden, denn es war wirklich die beste Tarnung gewesen.
    Wir suchten drei Männer!
    Drei verschwundene Männer, die wie vom Erdboden verschluckt waren.
    Man hatte nichts mehr von ihnen gefunden. Sie waren weg, abgetaucht in ein geheimnisvolles Dunkel, aus dem es kein Zurück mehr gab. Nun, es verschwanden immer wieder Menschen, wenn wir jedem hätten nachlaufen sollen, hätten wir viel zu tun gehabt, aber bei diesen Männern lag es anders.
    Die waren nicht nur einfach so untergetaucht, die hatten einen Job gehabt, einen sehr gut bezahlten sogar. Zwei von ihnen waren verheiratet, hatten Familie, führten eine normale Ehe, da haute man
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher