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Alpenlust

Alpenlust

Titel: Alpenlust
Autoren: Willibald Spatz
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verzweifelten sie dann beinahe, weil sie ein Mädchen in die Schusslinie gebracht hatten, und da lief sie nun rum und bekam selbst große Angst, niemand konnte ihr helfen, wenn sie von ihren Albträumen erzählte und dass der Wichser sie doch endlich nehmen sollte. Man war sich einig, sie aus der Gefahrenzone bringen zu müssen. Doch wohin sollte sie? War sie überhaupt in Gefahr? Ihr Vater schickte sie für zwei Monate nach Kanada. Die Sprache lernen. Ansonsten geschah nichts.«
    Dann kam Bewegung in den Fall: Man fand eines der Mädchen wieder. Auf einer Müllhalde, blass, fertig. Sie konnte nichts sagen, war unter Drogen, nur, dass die anderen auch da gewesen seien, wo, wusste sie nicht, wie sie dorthin und wieder weggekommen war auch nicht, nur dass sie fort wollte und irgendwann gerannt sei und Angst habe, dass er sie wieder hole.
    Sie konnte ihn nur vage beschreiben: ein großer Mann mit viel Bart im Gesicht. Sie habe ein Zimmer bewohnen dürfen, das wahrscheinlich im Keller gelegen ist; ohne Fenster, nur ein zugemauerter Schacht und wenig frische Luft. Sie sei mit Essen versorgt worden und dann manchmal einfach umgekippt, wahrscheinlich betäubt oder unter Drogen. Sie konnte sich an nichts erinnern nach ihren Blackouts, nur an schreckliche Kopfschmerzen. Sie habe das Schlimmste angenommen, konnte aber nie etwas an ihrem Körper ausmachen. Ab und zu hätte ein anderes Mädchen im Zimmer gelegen. Dagelegen wie tot. Kein Rütteln, kein Schreien habe jemals eine von ihnen wach werden lassen, um mit ihr über die ausweglose Situation zu reden. Ein paar Mal habe sie eine vom Sehen gekannt, einmal war da auch eine richtig gute Freundin von der Schule. Da habe sie geweint, Stunden am reglosen Körper, es habe nichts gebracht. Irgendwann sei sie wieder eingeschlafen – es könnte ein Gas gewesen sein, das eingeleitet wurde in den Raum – und nach dem Erwachen war sie wieder allein mit ihren Kopfschmerzen und ihrer Angst und ihrer Einsamkeit.
    Raus durfte sie nur dieses eine Mal, da sah sie das Haus, es war kein besonderes, aber es war ein Pool im Garten, nichts Großartiges, einen, den man in einem Versandkatalog bestellen konnte, und der einem keinen Spaß bereitete, weil sich dauernd Algen im Wasser befanden, solange bis es einem zu blöd war und man ihn leer stehen ließ und Gartenmöbel darin lagerte. Dieser war auch leer gewesen. Der Mann stand neben ihr in einem Bundeswehrparka und schaute da gedankenvoll rein. Das war das Erste, was sie wahrnahm, er drehte ihr den Rücken zu, sie konnte nicht viel erkennen. Er blickte irgendwie traurig drein. Sie schloss sofort die Augen, weil sie eine Chance witterte. Sie hörte ihn weggehen, schwere Schuhe auf einem Betonboden. Sie hörte, wie eine Terrassentür aufgeschoben wurde, und dann seine Schritte auf einem Parkettboden.
    Sie sprang hoch und rannte und merkte, wie schwach sie wirklich war. Sie stolperte und schrie nicht, weil ihr die Kraft fehlte, das rettete sie. Es war niemand hinter ihr, niemand hatte etwas bemerkt. Sie erreichte eine eiserne Gartentür, eine harmlose Gartentür, sie war nur angelehnt, sie kam durch wie nichts und lief durch ein Wohngebiet, sie kannte kein Haus hier, aber sie hatte Angst, irgendwo zu klingeln. Alles kam ihr feindlich vor. Sie war sich sicher, dass jeder, dem sie hier begegnete oder den sie aus seinem Haus lockte, keine Sekunde zögern und sie zurückbringen würde in ihr stummes Gefängnis.
    Sie stolperte durch diese fremde Welt und hatte keine Ahnung, nur ein Gefühl, dass sie beobachtet wurde, dass hinter jeder dieser verdammten Thujen, hinter jedem dieser halb hochgezogenen Rollläden Augen lauerten und sie feindselig musterten. Sie röchelte und stolperte, sie verlief sich in der Fremde, landete auf einer Müllhalde und rappelte sich wieder auf, weil sie nicht auf einer Müllhalde sterben wollte nach allem, was sie schon hinter sich hatte.
    Und dann waren da Kinder, unschuldige Kinder, Buben, zehn Jahre vielleicht, die Bretter von der Müllhalde trugen, um sich Baumhäuser und Lager zu zimmern. Buben, die sie sahen und die mehr Angst vor ihr hatten, vor dem großen schönen, blonden, weißen Mädchen, als sie vor ihnen. Sie liefen zuerst weg und blieben dann stehen, weil sie an jugendliche Detektive in Fernsehserien dachten, sie brachten sie schließlich zu einem Vater und der sie zur Polizei.
    »Bayer?«, fragte Birne.
    »Sagenhaft viele Meldungen aus der Bevölkerung. Ungeheuerliches in der Nachbarschaft. Viele hatten
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