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Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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hatten die Soldaten nichts. „Wie auch“, sagt Usama, „ich habe nie eine Waffe besessen.“ Keiner hat sich seitdem von der US-Armee bei ihm blicken lassen – keine Entschuldigung, kein Schadenersatzangebot, keine Rede davon, die Krankenhaus- oder die Reparaturkosten für das Taxi zu übernehmen.
    Usama hinkt heute. Unter seiner grauen Galabija, dem Beinkleid, verschließt ein Plastikbeutel seinen künstlichen Darmausgang. Wegen der Streifschüsse am Kopf, die Nerven zerstörten, fängt er oft zu zittern an und kann nur wenige Minuten ruhig sitzen. Er hat schon den Fernseher, die Klimaanlage und zahlreiche Möbel verkauft, um die Klinik bezahlen zu können. Zwei weitere Operationen hat er noch vor sich. „Ich war früher derjenige, der anderen Geld gegeben hat, ich kann heute doch keines annehmen“, sagt er stolz.
    Captain Ives in seinem klimatisierten Büro findet die Iraker undankbar. Sie würden sich stets beschweren und die Amerikaner für alles verantwortlich machen, „obwohl wir eigentlich helfen wollen“. Sichtlich enttäuscht fügt er hinzu: „Die Iraker sagen, dass die Tasse Milch heute nicht ganz so wohl temperiert ist wie unter Saddam Hussein.“ Für Usama stellt sich indes die Frage, wie er eine wie auch immer temperierte Milch auf den Tisch bringen soll. Wie, fragt er, soll er in Zukunft die 23 Münder stopfen, die seit dem Tod und der Verletzung seiner Brüder vollkommen von ihm abhängig sind.
    Sicher, erklärt Captain Ives, seien einige Fehler gemacht worden. Gerade am Anfang hätten die US-Soldaten bei den Hausdurchsuchungen und an den Straßensperren oft falsch gehandelt. „Jetzt verstehen wir, dass es in dieser islamisch-konservativen Stadt nicht opportun ist, bei einer Hausdurchsuchung in der Frauenunterwäsche zu wühlen.“ Tatsächlich hatten die US-Truppen in den ersten Besatzungstagen viele verärgert, weil sie an Straßensperren Frauen durchsuchten oder weil sie gegen jeden Ehrenkodex der Beduinen Männer mit den Stiefeln in den Staub zwangen, bevor sie die Häuser durchsuchten. „Wir haben einen neuen Ansatz“, erklärt Captain Ives. „Heute klopfen wir an und bitten die Frauen und Kinder, nach draußen zu gehen, bevor wir mit der Durchsuchung beginnen.“ Der Verbindungsoffizier beschreibt das als „langsamen Heilungsprozess“.
    Als Usama aus dem Krankenhaus kam, war er nach seinen eigenen Worten „psychologisch am Nullpunkt angekommen“. Nur langsam begann er zu begreifen, was geschehen war. Aber er erholte sich jeden Tag mehr. Zum Nachdenken hatte er kaum Zeit. Das Taxi musste repariert, sein Bruder, dem das Bein abgenommen worden war, versorgt werden. Die Nachricht, die Usama dann vor drei Tagen ereilte, warf ihn endgültig zu Boden. US-Soldaten hatten bei einer Hausdurchsuchung seinen Cousin erschossen. Später, sagt Usama, hätten sie sich bei dem Vater entschuldigt: Sie hätten einen Fehler begangen. Doch der Tote war nicht nur Usamas Cousin, sondern auch sein bester Freund. Er sei bisher als starker Charakter bekannt gewesen. „Heute bin ich zerstört. Sieh mich an, ich bin ein Häuflein Elend, das nicht mehr als drei Stunden Schlaf finden kann.“
    Den Rest des Tages, wenn er „lebendig tot“ in seinem Haus herumlaufe, habe er manchmal darüber nachgedacht, ob er sich nicht jenen anschließen sollte, die den Amerikanern auflauern. Dabei ist der Taxifahrer kein Überbleibsel des alten Regimes. Er sei heilfroh, Saddam losgeworden zu sein. Er würde nur so denken wie viele andere in Falludscha, die inzwischen den US-Soldaten nach dem Leben trachten. In der konservativen, von Beduinentraditionen geprägten Stadt herrscht das Konzept der Blutrache. „Tötet ein Soldat meinen Bruder, dann töte ich einen Soldaten“, lautet das einfache Motto, das die amerikanischen Truppen hier in eine blutige Vendetta verstrickt hat.
    Usama jedoch ist zu dem Schluss gekommen, dass er keine Rache nehmen wird. „Wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren“, sagt er. Militärische Operationen gegen die Amerikaner hält er gegenwärtig für falsch. Die Besatzer sollten mehr Zeit bekommen, das Land wieder zum Laufen zu bringen, sagt er. Sie in einen Kleinkrieg zu verstricken, bewirke nur das Gegenteil. Aber wenn es in ein paar Monaten immer noch nicht die grundlegendste Infrastruktur gibt oder eine irakische Regierung, prophezeit er, werden sich alle Iraker gegen die Besatzung erheben. Usama selbst wird allerdings, wie er sagt, „niemals eine Waffe in die Hand nehmen“. Er hat
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