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Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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gearbeitet hat und heute bei der deutschen Hilfsorganisation „Architekten für Menschen in Not“ mitarbeitet, weiß noch nicht, wie es weitergeht. Auf jeden Fall hat sie in den vergangenen Monaten gelernt, mit einem Computer umzugehen. Zusammen mit ihrem exzellenten Englisch wird ihr das wohl gute Chancen in einem neuen Irak eröffnen. Zuhair freut sich auch auf ein neues, lebhaftes intellektuelles Leben in der Stadt. In Zukunft müssen er und seine Freunde sich nicht mehr heimlich Bücher und Zeitschriften besorgen und sich gegenseitig ausleihen, bis sie total zerfleddert sind. In Zuhairs Lieblingscafé, direkt am freitäglichen Büchermarkt, kann er in Zukunft offen über alles mit seinen Freunden diskutieren. Er hofft auch, dass viele irakische Intellektuelle aus dem Exil zurückkehren. „Leute, die frei denken können und die Saddam Hussein nicht im Gehirn implantiert haben.“ Noch wissen sie nicht, wie sie sich mit der neuen Besatzung arrangieren können und wollen. Es ist wie in den Zwanzigerjahren während der britischen Kolonialzeit, sagt Zuhair. Manche haben mit den Briten zusammengearbeitet, weil sie darin die einzige Möglichkeit sahen, ihr Land zu entwickeln. Andere haben dies aus purem Opportunismus getan. „Auch diesmal werden wir beide Typen finden“, meint er. Der 50-jährige Zuhair und die 44-jährige Intisar glauben aber, dass das eher eine Frage für die nächste Generation sei.
    Doch ihre beiden Töchter haben noch gar nicht begriffen, welche neuen Zeiten angebrochen sind. Sie haben ihre Straße seit drei Wochen nicht verlassen. Und auch der Fernseher ist seit zwei Wochen tot. Sarah würde gerne wieder in ihre Schule gehen, die sie seit Kriegsbeginn nicht mehr besucht hat. Doch ihre Mutter hat ihr das bisher untersagt. „Es wäre zu dramatisch“, erklärt sie. Andere Eltern haben ihr erzählt, dass die Schule ihrer Töchter vollkommen ausgeplündert wurde. Es gibt dort keinen einzigen Stuhl oder Tisch mehr, und selbst die Tafeln sollen sie abgeschraubt haben. Diesen Anblick will Intisar ihren Töchtern ersparen.
    Zu Hause hatten Zuhair und Intisar immer nur über Politik geredet, ohne den Namen Saddam Husseins zu erwähnen. Und wenn das Gespräch zum Regime kritisch wurde, haben sie es in Englisch weitergeführt, aus Angst, die Kinder könnten ihre eigenen Eltern aus Versehen anschwärzen – wie jenes Kind, das bei einem Besuch Saddam Husseins in dessen Schule offen erzählt hatte, dass sein Vater immer den Fernseher ausschaltet, wenn der Präsident erscheint. Niemand weiß genau, was damals mit dem Mann passiert ist.
    Nun haben Zuhair und Intisar zwei gehirngewaschene Töchter zu Hause. Vor allem Sarah weigert sich zu verstehen, dass Saddam Hussein nicht mehr ist. „Wir lieben unseren Führer, weil er die Kinder liebt“, rezitiert sie einen in der Schule gelernten Slogan. Ich male Saddam Hussein mit einem komischen Gesicht und einer krummen Nase auf ein Blatt Papier. „Das darfst du nicht mit Onkel Saddam machen“, reagiert Sarah erbost. „Wir haben schon versucht, mit ihr zu sprechen. Sie wird es nicht glauben, bis sie es von ihren eigenen Lehrern hört oder im Fernsehen sieht“, meint ihre Mutter.
    Samma ist da schon etwas gelassener, sie hat nicht einmal zwei Schuljahre in Saddams Propagandamaschine verbracht. „Was machst du jetzt ohne Saddam Hussein?“, frage ich sie. „Nichts“, antwortet die Achtjährige und zuckt mit den Schultern. „Soll ich jetzt vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen?“
    Korrespondenten-Post aus einem geplünderten Haus
    (Bagdad, den 17. April 2003)
    Ob sein Vorname wohl Winston lautet? Das wollte er nicht verraten, der US-Sergeant Churchill, den wir bei der Villa von Arschad Jassin trafen, als er mit seinen Männern viel zu spät dort vorfuhr. Das Haus von Saddam Husseins ehemaligem Leibwächter, der sich zum bekannten Antiquitätenschmuggler gemausert hatte, war bereits seit zwei Stunden von Plünderern heimgesucht worden. In den Nächten zuvor hatten Diebe die wertvollsten Stücke herausgepickt. Dann beschloss die Nachbarschaft, den Rest für sich zu sichern.
    Vor dem Haus gleicht die Szene einem Flohmarkt. Schränke, Regale, Spiegel und luxuriöse Stehlampen warten auf ihren Abtransport, jedes Einzelstück streng bewacht vor dem Zugriff der Konkurrenz. Etwa das Babybett, gefüllt mit den Gewändern der Dame des Hauses. Ein schätzungsweise 70-jähriger Mann hält die Sprossen fest im Griff und blickt argwöhnisch in die
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