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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María
Autoren: Martin Suter
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sich unter die Dusche stellte.
    Was mochte der Grund sein, dass Allmen sie so dringend sehen wollte? Etwas Geschäftliches? Wohl kaum. Den geschäftlichen Teil hatten sie abgeschlossen. Es musste sich um etwas Persönliches handeln. Ihre Beziehung war ja ziemlich bald über das rein Geschäftliche hinausgegangen. Er wusste viel über sie. Und sie allerhand über ihn. Der Abschied vor drei Tagen war beinahe freundschaftlich [21]  gewesen. Vielleicht wollte er diese entstehende Freundschaft aufrechterhalten. Vielleicht wollte er sogar, dass mehr aus ihr wurde. Die fünf, sechs Jahre, die sie älter war, fielen in diesem Alter nicht mehr so ins Gewicht. Und sie passten zusammen. Beide besaßen, auf eine etwas klassische Art, Stil.
    Sie verließ die Dusche, trocknete sich ab und cremte sich mit einer teuren Bodylotion ein, der sie die noch immer akzeptable Spannkraft ihres Gewebes zuschrieb. Sie öffnete die Schublade ihrer Kommode und suchte mit Bedacht die Unterwäsche aus, die ihm gefallen könnte.
    4
    Es roch nach feuchtem Mörtel, wie während der Regenzeit in der Hütte aus Zementblöcken, in der sie aufgewachsen war. Das einzige Licht fiel durch einen Schacht, der mindestens ein Stockwerk hoch war und sich ab und zu für einen Moment verdunkelte. Vielleicht durch einen Fußgänger oder ein Fahrzeug.
    Der Raum besaß eine provisorische Tür, die wohl aus einem Abbruch stammte und von außen mit einem Vorhängeschloss verriegelt war, das hatte sie inzwischen mitbekommen.
    [22]  Sie befand sich in einem Rohbau. Morgens um sechs – man hatte ihr ihre Uhr gelassen – war durch den Lichtschacht Baulärm gedrungen. Er hatte, von drei Pausen unterbrochen, den ganzen Tag angedauert und war Schlag fünf Uhr verstummt.
    Das einzige Mobiliar war eine Matratze auf dem nackten Betonboden. Und ein grüner Kunststoffeimer, der ihr als Toilette diente.
    In einer Ecke des Raumes lag eine Schachtel mit der Aufschrift: »Plötzlich Pizza!!« Der, den der andere »Due« nannte, hatte sie mitgebracht. Er hatte die Pizzaschachtel neben die Matratze gelegt und María angestarrt. Bis der andere hinter der Tür gerufen hatte: »Due! Andiamo! « Daher wusste sie, dass er »Due« hieß, »Zwei«.
    Sie hatte die Pizza nicht angerührt. Zuerst, weil sie keinen Appetit hatte, und später, als sich der Hunger bemerkbar machte, aus Protest.
    Da stand auch eine Anderthalbliterflasche Evian im Raum. Davon hatte sie ein wenig getrunken, außerdem hatte sie eine Ecke der Wolldecke damit befeuchtet, um das Auge zu kühlen, das von einem Schlag zugeschwollen war. Due hatte ihr eine geknallt, als sie ihn hijo de puta genannt hatte, Hurensohn. Sie hätte wissen müssen, dass Italiener dafür genug Spanisch verstehen.
    Die Entführung war ganz banal vor sich [23]  gegangen. Kurz nach ein Uhr war sie von den Dr.   Hubers losgegangen, und weil es ein schöner Tag war, hatte sie sich zu Fuß auf den Weg zur Villa Schwarzacker gemacht. Diese lag auf dem gleichen Villenhügel, einfach noch ein wenig weiter oben. Sie hörte ein Auto herannahen und sah sich um. Es war ein weißer BMW , der langsam fuhr und auf ihrer Höhe die Geschwindigkeit auf ihr Schritttempo reduzierte. Der Fahrer schien etwas zu suchen. Er hielt, beugte sich über den Beifahrersitz und öffnete das Fenster. »Scusi«, sagte er. Ein junger, gutaussehender Italiener.
    María war stehen geblieben und bückte sich zum offenen Beifahrerfenster hinunter. Da wurde die Tür des Fond geöffnet, und jemand stieg aus, den María nicht beachtete. Der Fahrer sagte ein Wort, das mit »Straße« endete und das María nicht verstand.
    Plötzlich schrie sie auf vor Schmerz. Jemand hatte ihr grob den Arm auf den Rücken gedreht und zwang sie auf den Rücksitz. Dann setzte er sich neben sie und schloss seelenruhig die Tür. Der Fahrer fuhr davon. Ohne Eile, wie ein Herrschaftschauffeur.
    Das alles hatte sich vor einer dichten Gartenhecke abgespielt. Niemand konnte etwas gesehen haben.
    Due hatte ihr eine Pistole gezeigt, verstohlen [24]  wie ein Kind einem anderen Kind ein neues Spielzeug, und ihr bedeutet, dass sie sich anschnallen solle. María hatte gehorcht.
    Sie waren schweigend den Villenhügel hinaufgefahren, bis die Häuser vom Stadtwald abgelöst wurden. Nach einer Weile bog der Fahrer in einen Seitenweg ab und von da aus in einen ungeteerten Waldweg.
    María hatte, schon als ihr klar wurde, dass die Fahrt in den Wald ging, begonnen, mit dem Leben abzuschließen. Jetzt, als der Wagen mitten im
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