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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María
Autoren: Martin Suter
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Dickicht hielt, schloss sie die Augen und seufzte: »Dios mío.«
    Due half ihr vom Beifahrersitz, fesselte ihre Hände mit einem Seil hinter dem Rücken und stülpte ihr einen schwarzen Sack über den Kopf, den er mit einem Klebeband um den Hals zusammenraffte. María begann zu schluchzen.
    Sie hörte, wie der Kofferraum geöffnet wurde. Plötzlich wurde sie hochgehoben, eine Mischung aus Nikotin und Alkohol stieg ihr in die Nase. Due verstaute sie unsanft im Kofferraum und schlug den Deckel zu.
    Das einzige Geräusch, das sie vernahm, war ihr Schluchzen.
    Jetzt fuhr der BMW an und holperte über den Waldweg weiter. Nach kurzer Zeit wurde die Fahrt [25]  ruhiger, sie hatten wieder eine Asphaltstraße erreicht. María versuchte, sich zu entspannen.
    Die Luft war abgestanden, es roch nach Gummi und Benzin. Sie lag mit angezogenen Beinen auf der Seite. Etwas Hartes drückte sie in die Taille, eine Tasche oder ein Koffer.
    Immer wieder überfiel sie das Gefühl zu ersticken. Sie zwang sich, ruhig zu atmen.
    Bald hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Manchmal hörte sie die Stimme von Due, der auf dem Rücksitz etwas zum Fahrer sagte. Dazwischen lief kurz laute Musik. Ab und zu spürte sie, dass sie schnell fuhren. Und einmal drückte sie die Fliehkraft in einer engen Kurve kopfvoran gegen die Innenwand der Karosserie.
    Dann hielt der Wagen an. Sie hörte die Stimmen der beiden Italiener und das Zuschlagen der Tür. Dann Schritte. Sie entfernten sich.
    Sie wartete, bis es ganz still war. Dann begann sie, um Hilfe zu rufen. »¿Ayuda!«, rief sie, »¿ ayudenme!« Und als dies nichts brachte, trat sie, so fest sie konnte, immer wieder gegen das Blech des Kofferraums.
    Mit dem Poltern und Schreien, dem Trampeln und Kreischen stieg auch Panik in ihr hoch. Sie bäumte sich auf wie ein Tier in der Falle, bis die Kräfte sie verließen.
    [26]  Nichts. Schweigen. Niemand hatte sie gehört.
    Dann fing sie an zu beten: »Jehova es mi pastor; nada me faltará«, den dreiundzwanzigsten Psalm, den ihr ihre Mutter beigebracht hatte. Für den Moment, wenn gar nichts mehr half.
    Sie musste eingenickt sein oder hatte das Bewusstsein verloren. Sie erwachte davon, dass Hände sie grob anpackten und aus dem Kofferraum zerrten. Dem Geruch nach musste es Due sein. Er hielt sie an ihrer Handfessel fest und schob sie vor sich her. Sie spürte, dass es eine Weile durch einen großen Raum ging, in dem ihre Schritte widerhallten.
    Danach führte sie Due nach links, geradeaus, nach rechts, wie durch ein Labyrinth. Plötzlich stoppte er, öffnete eine Tür und schob sie in einen Raum. Er schloss die Tür hinter sich und zog ihr den schwarzen Sack vom Kopf.
    Es war dunkel, bis auf das Licht einer kleinen LED -Leuchte in Dues Hand. Mit ihrem Strahl tastete er María langsam ab. Dann befahl er ihr, sich umzudrehen, und ließ den kleinen weißen Lichtkegel über ihre Rückseite gleiten.
    Sie machte sich darauf gefasst, dass er sie gleich anfassen würde. Aber dann ging das Licht aus, und sie hörte, wie die Tür geöffnet und von außen verriegelt wurde.
    Aus einem Lichtschacht hinter einer [27]  Fensteröffnung hoch über ihrer Reichweite drang ganz wenig Helligkeit. Sie sah eine Matratze mit einer Decke, eine Flasche Wasser, einen Eimer und eine Rolle WC -Papier.
    Lange ging sie in dem kleinen Raum auf und ab und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Es gelang ihr trotz der gefesselten Hände, den Eimer zu benutzen. Sie mühte sich mit der Wasserflasche ab, öffnete deren Drehverschluss hinter dem Rücken und schaffte es, davorzuknien und die Öffnung so mit den Zähnen zu fassen, dass sie die Flasche etwas kippen und ein paar Schlucke trinken konnte.
    Schlafen wollte sie nicht. Aber es war kühl in dem feuchten Kellerraum, sie musste umständlich unter die Wolldecke kriechen, um nicht zu frieren. Sie versuchte, so zu liegen, dass ihr das Seil möglichst wenig in die Handgelenke schnitt. Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
    Fast gleichzeitig mit dem dumpfen, weit entfernten Baulärm war die Dämmerung gekommen. Eine Stunde später, so gegen sieben, war Marías Verlies hell genug, dass sie es sich genauer ansehen konnte. Es gab nicht viel zu entdecken. Ein Abflussrohr kam neben dem Fenster zum Lichtschacht aus der Decke, bog auf halber Raumhöhe in zwei Fünfundvierzig-Grad-Winkeln ab und verschwand in der Wand. Aus den Mauern und der Decke [28]  ragten die Enden schwarzer Kabelrohre, in die Stromkabel eingezogen waren.
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