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Alles was ich sage ist wahr

Alles was ich sage ist wahr

Titel: Alles was ich sage ist wahr
Autoren: Lisa Bjaerbo
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sie nicht träumt.
    »Und du hast gebacken? «
    Ich nicke und Mama zieht die Augenbrauen hoch.
    »Alles okay mit dir?«
    Ich nicke wieder, horche vorsichtshalber aber noch mal in mich hinein.
    »Ich glaube schon«, sage ich. »Ich bin einfach so früh aufgewacht.«
    Mama kommt zu mir und legt mir eine Hand auf die Stirn.
    »Nein«, sagt sie, »Fieber hast du keins.«
    Sie sieht beeindruckt auf die Scones, die ich gerade aus dem Ofen genommen habe, und schnuppert.
    »Das duftet herrlich«, sagt sie. »Ich wusste gar nicht, dass du Scones backen kannst. Hat Oma dir das beigebracht?«
    »Oma?«, sage ich. »Weiß die überhaupt, was Scones sind? Ist das nicht viel zu modern für sie?«
    Mama lacht.
    »Stimmt. Sie gehört eher zur Roggenkringel-Fraktion.«
    Sie verstummt und ihr Lächeln verschwindet und wir denken beide dasselbe. Wir haben uns verplappert. Falsch gedacht. Für einen Moment haben wir völlig vergessen, dass Oma nicht mehr da ist. Jetzt wissen wir es wieder. Und wir werden uns immer wieder daran erinnern müssen.
    »Ich habe keine Ahnung, wie man Roggenkringel macht«, sage ich nach einer Weile.
    Mama stößt einen traurigen Seufzer aus und legt die Arme um mich.
    »Ich auch nicht. Obwohl ich ihr tausendmal beim Backen zugesehen habe. Und ich hab nie daran gedacht, sie nach dem Rezept zu fragen.«
    Ich weiß, was sie meint.
    »Und jetzt ist es zu spät«, sage ich.
    Mama holt tief Luft.
    »Ja«, sagt sie leise und legt ihr Kinn auf meinen Kopf. »Jetzt ist es zu spät.«
    So stehen wir eine Weile schweigend da, und mir fallen tausend Dinge ein, die ich Oma nie gefragt habe. Bestimmt denkt Mama das Gleiche, und irgendwie muss das für sie doch noch viel schwerer sein, keine Mutter mehr zu haben. Wie wird man damit fertig?
    »Vermisst du sie sehr?«, frage ich.
    »Die ganze Zeit.«
    »Glaubst du, dass das vorübergeht?«
    Mama überlegt einen Moment.
    »Nein«, sagt sie schließlich. »Aber irgendwann wird es leichter.«
    * * *
    Isak hat keine Handschuhe und es ist eiskalt draußen. Wir laufen nebeneinander und halten uns an den Händen. Oder besser: Er hält mich am Handschuh. Das tut er jetzt schon ganz lange, obwohl ihm bald die Hände abfallen müssen. Seine Finger sind ganz blau.
    »Hier«, sage ich und ziehe meinen Handschuh aus. »Wir können ihn uns teilen.«
    Wir pressen unsere Handflächen aneinander und ziehen den Fäustling über unsere Hände. Er reißt fast, als wir unsere Daumen in den Daumenzipfel stecken, der definitiv nicht für zwei, sondern nur für einen Daumen gemacht ist. Der Strickfäustling spannt wie eine Zwangsjacke um unsere Hände. Ich finde das toll.
    »Und was ist mit dieser?«, fragt Isak und wedelt mit der anderen Hand in der Luft herum. »Wie wollen wir die retten?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Für die bist du selbst verantwortlich. Ich kann mich nicht um alles kümmern.«
    Isak lacht und schiebt die freie Hand tief in seine Jackentasche.
    »Geizkragen«, sagt er. »Aber eine Hand ist immer noch besser als gar keine.«
    Als wir den Friedhof erreichen, verschwindet die Sonne gerade hinter dem Kirchendach und übergießt die Grabsteine mit magisch gelbem Licht.
    Ich bin seit der Beerdigung nicht mehr hier gewesen.
    Auf dezenten, schwarzen Hinweisschildern wird man zu dem Platz für die anonymen Urnenbestattungen geführt. Isak sagt nichts, geht einfach nur neben mir über die geharkten Kieswege. Seine Hand steckt noch immer mit meiner in dem Handschuh.
    »So«, sage ich schließlich. »Hier ist es, nehme ich an.«
    Isak nickt.
    »Schön ist es hier«, sagt er.
    Im Grunde genommen ist es nur eine große Rasenfläche am hinteren Rand des Friedhofes, aber ich muss Isak trotzdem recht geben. Es ist wirklich schön. Von hier aus kann man bis zum Wasser runtergucken.
    Wir setzen uns auf eine Bank, ohne was zu sagen, und schauen über den Rasen. In der Mitte steht ein winterkahler, ziemlich traurig aussehender Obstbaum und im Gras liegen wie zufällig verteilt ein paar Steine.
    Irgendwo auf dieser Fläche ist Omas Asche verstreut.
    Ich überlege, ob es wohl erlaubt ist, das Gras zu betreten. Ich würde gerne über den Rasen laufen, weiß aber nicht so recht, ob sich das gehört. Oder stört man dann die Ruhe der Verstorbenen?
    Es ist kalt. Ich drücke mich noch dichter an Isak.
    »Willst du mich ihr nicht vorstellen?«, fragt Isak, nachdem wir eine halbe Ewigkeit stumm nebeneinandergesessen haben.
    Ich zucke zusammen und sehe ihn erstaunt an.
    »Wo wir schon mal hier sind, meine
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