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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition)
Autoren: Wiebke Lorenz
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melde mich, sobald ich gelandet bin«, sagt Christopher.
    »Ist gut.« Er hat schon die Klinke in der Hand, da tritt sie noch einmal von hinten an ihn heran, legt ihre Arme um ihn, schmiegt ihren Kopf an seinen Rücken.
    »Danke.« Er wendet sich zu ihr um. Beugt sich zu ihr herab und gibt ihr einen sanften Kuss.
    »Jederzeit«, sagt er, als er sich von ihr löst.
    »Ich komme bestimmt nach, irgendwann. Aber jetzt muss ich erst einmal Tritt fassen, mein neues Leben regeln und es angehen.«
    »Das verstehe ich.« Er zwinkert ihr aufmunternd zu. »Pass gut auf meine Wohnung auf. Und auf dich selbst auch.« Mit diesen Worten geht er hinaus ins Treppenhaus. Marie schließt hinter ihm die Tür. Bleibt einen Moment so stehen, atmet tief ein und aus. Dann kommt Bewegung in sie, langsam muss sie sich auch beeilen und ihre Sachen zusammensuchen. Am Nachmittag beginnt schon ihr erster Kurs. Und vorher will sie unbedingt noch Hannah besuchen.

Nachwort
    A ls ich das erste Mal etwas über das Thema »Zwangsgedanken« hörte, war ich gleichermaßen fasziniert wie schockiert. Diese Krankheit, die sich ausschließlich im Kopf – also im Verborgenen – abspielt, bedeutet für die Betroffenen mitunter eine wahrhafte Hölle. Denn je mehr sie versuchen, sich von ihren Zwangsgedanken zu befreien, ihre beängstigenden Vorstellungen von sich wegzuschieben, sie aus ihrem Kopf zu vertreiben, desto massiver, desto übermächtiger werden sie.
    Dabei sind diese Gedanken häufig aggressiver, religiöser oder sexueller Natur und richten sich perfiderweise in der Regel exakt gegen die Dinge beziehungsweise Personen, die der Erkrankte am meisten liebt – oder sie sprechen seine größten Ängste an. Einmal ausgelöst, können sie auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche übergreifen und die Freiheit des Erkrankten mehr und mehr einschränken. Die Betroffenen sind dabei von riesigen Scham- und Schuldgefühlen erfüllt, weshalb oft Jahre vergehen, bis sie sich jemandem anvertrauen oder Hilfe suchen – und auch dann wird die Krankheit oft nicht sofort erkannt, vor allem in ländlichen Regionen findet sich nicht immer auf Anhieb ein Experte, der die Symptome richtig zuordnen kann. So gehen Fachleute davon aus, dass es im Schnitt 7,5 Jahre dauert, bis ein Zwangserkrankter die geeignete Therapie erhält. Je schneller ein Betroffener behandelt wird, desto leichter und erfolgreicher kann er aber von seinem Zwang befreit werden.
    Auch das Umfeld der Betroffenen reagiert nicht immer verständnisvoll, denn wer kann schon begreifen, weshalb ein Mensch in sich den unbändigen Drang verspürt, zum Beispiel einem anderen – oder sogar einem Kleinkind – etwas anzutun? Das ruft bei Außenstehenden natürlich Ängste hervor. Wie wollen sie schließlich sicher sein, dass der Erkrankte seine düsteren Gedanken nicht irgendwann in die Tat umsetzt?
    Und genau davor haben eben auch die Betroffenen Angst: dass sie die Kontrolle über sich verlieren und dem Dämon in ihrem Kopf nachgeben könnten. Ein solcher Fall ist allerdings – ohne das Auftreten einer zusätzlichen Störung wie z. B. einer schweren Psychopathie, also dem Fehlen jeglicher Empathie, Gewissen oder Verantwortungsgefühl – weltweit bisher nicht bekannt. So heißt es auch: »Zwangskranke sind Täter ohne Tat.« Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Denken ist nicht tun! Eine solche Angst ist also vollkommen unbegründet.
    Dennoch – die Sorge, eines Tages nicht mehr Herr der eigenen Sinne zu sein, bleibt für die Betroffenen eine reale Bedrohung, unter der sie unerträglich leiden, die sie in regelrechte Panik versetzt. Aus diesem Grund beobachten und hinterfragen sie sich und ihr Verhalten permanent, liegen ständig auf der Lauer nach den kleinsten Anzeichen, die einen Kontrollverlust andeuten könnten. Der seelische Druck wird so mit der Zeit immer stärker, die Mauern des selbst erschaffenen Gefängnisses immer höher und scheinbar unüberwindbar.
    Zwangsgedanken (dazu zählt auch das sogenannte »Magische Denken«; der Glaube, allein durch seine Gedanken oder bestimmte Rituale den Lauf der Dinge beeinflussen zu können) führen häufig zu Zwangshandlungen, wie zum Beispiel zu einem Wasch- oder Kontrollzwang. Gerade in Literatur und Film werden solche Zwänge (nach Schätzungen gibt es übrigens allein in Deutschland 1,5 Millionen Zwangserkrankte) oft als absurd-komische Spleens dargestellt, was den Leidensdruck der Betroffenen und den ihrer Angehörigen oft noch erhöht. Denn der Zwang
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