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Alles kam ganz anders

Alles kam ganz anders

Titel: Alles kam ganz anders
Autoren: Berte Bratt
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Bisken – ich las.
    Ich bekam Briefe, sie wurden schnell gelesen und beiseite gelegt. Briefe beantworten, das war bei mir nicht drin.
    Ich las.
    Dann war es soweit.
    Zum erstenmal ging ich ruhig zu einer Prüfung, zu der bisher wichtigsten in meinem Leben. Zum erstenmal gab es keinen Grund, die Daumen zu drücken, daß ich nicht in einer meiner zahllosen Lücken geprüft werden würde.
    Zum erstenmal gab es keine Lücken!
    Ich hatte mein Bestes getan. Mehr hätte ich nicht tun können.
    Ich arbeitete mich durch die Examenstage, durch Fach auf Fach, bis ich eines Tages alles hinter mich gebracht hatte.
    Die Nervosität kam hinterher.
    War es doch dumm, das was ich in dem deutschen Aufsatz geschrieben hatte? Hatte ich im Lateinischen etwas mißverstanden? Hatte ich aus dem enormen englischen Wortschatz die richtigen Worte in meiner Englischarbeit gebraucht?
    Ich war furchtbar müde. Und plötzlich wußte ich nicht mehr, was ich mit all meiner freien Zeit anfangen sollte. Es war nach diesen Monaten intensiver Arbeit so merkwürdig, nicht lesen, nicht lernen zu müssen! Ich fühlte mich richtig ratlos.
    Und dann kam der Tag. der unvergeßliche Tag. Der Tag, an dem ich meinen Eltern das feierliche, für mich so unsagbar wichtige Papier hinlegen konnte.
    Mein Abitur-Resultat. Das Papier, das zeigte, daß ich den Notendurchschnitt erreicht hatte.
    Am gleichen Tag half Papa mir. an die Veterinär-Hochschule in Hannover zu schreiben. Eine Fotokopie von dem Zeugnis wurde mitgeschickt, und ich brachte persönlich den Brief zur Post.
    An diesem Abend kam Ingo, und das war mein Glück!
    Erst jetzt, als er mich in die Arme nahm und mir gratulierte, erst jetzt wurde mir bewußt, daß ich mein Ziel erreicht hatte, soweit ich selbst etwas dafür tun konnte. Das Weitere lag in den Händen der strengen Herren an der Veterinär-Hochschule. Man konnte nicht wissen – vielleicht waren es viele, die beim Abitur genausogut abgeschnitten hatten – viel mehr Studenten, als man aufnehmen konnte. Deutsche und Ausländer… du liebe Zeit! Daran hatte ich nicht gedacht! Ich war ja Ausländerin! Ich hatte die norwegische Staatsangehörigkeit!
    „Wenn man nun nach der Staatsangehörigkeit gefragt wird!“ rief ich. „Die Konkurrenz ist ja messerscharf, dann werden bestimmt die Deutschen mit den besten Abiturzeugnissen aufgenommen – man läßt doch nicht eine Norwegerin vor… dann ist das ganze Büffeln für die Katz…“ Dieser Gedanke jagte mir die Tränen in die Augen.
    „Meines Wissens“, sagte Papa. „ist es an allen deutschen Universitäten und Hochschulen so, daß ein gewisser Prozentsatz Ausländer aufgenommen wird. Vielleicht acht oder zehn Prozent, dann hast du ja…“
    „…beinahe keine Chance!“ rief ich. „Ich gehöre dann zu den lausigen zehn Prozent, die aus Skandinavien und Indien und Afrika und Korea und Japan kommen – und die Deutschen, die gehören zu den neunzig Prozent! Ich kann gleich anfangen zu töpfern. ich werde bestimmt nicht aufgenommen!“
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Mama ging hin. und als sie hörte, wer die Anruferin war. schaltete sie den kleinen Lautsprecher ein.
    „Ja. Grand-mère, wir wollten dich ja anrufen, ich habe es versucht, aber bei dem Billigtarif abends ist es beinahe unmöglich durchzukommen. Ja, Grand-mère, du darfst ruhig stolz auf deine Urenkelin sein, sie hat es blendend geschafft!“
    Dann folgte ein begeisterter Redestrom von Grand-mère, und zuletzt die Frage, ob ich vor lauter Glück überhaupt ansprechbar sei.
    „Das Glück hat leider seine Grenzen“, sagte Mama. „Elaine hat plötzlich Angst bekommen, daß sie nicht aufgenommen wird, weil sie keine deutsche Staatsangehörige sei.“
    „Das ist doch nicht schlimm“, sagte Grand-mère, und selbst durch das Telefon und den Minilautsprecher konnte ich ihren besonderen Stimmklang erkennen – den Klang, der mir sagte, daß sie eine glänzende Idee hatte.
    „Elaine muß eben blitzschnell heiraten, dann wird sie ja die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen! In dem Augenblick, wo sie am Standesamt ja sagt!“
    Ich sah Ingo mit aufgesperrten Augen und aufgesperrtem Mund an. Mir fehlten die Worte.
    Ich sah es Ingo an. daß er trotz mangelhafter französischer Sprachkenntnisse verstanden hatte. Er ergriff meine Hände, er sah mir ins Gesicht, und seine Augen strahlten.
    „Ja. Grand-mère, sie kommt an den Apparat!“ Mama reichte mir den Hörer.
    Ich brauchte kaum etwas zu sagen, denn Grand-mères Redestrom
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