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Alles Ist Ewig

Alles Ist Ewig

Titel: Alles Ist Ewig
Autoren: Kirsten Miller
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im Moment wolle er nicht, dass Haven sich zu sehr sorgte.
    Doch Haven hatte das Bild gesehen, und es hatte einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Noch Tage danach hatte sie kaum an etwas anderes denken können. Auf dem Gemälde waren zwei Leute zu sehen – ein junger Mann und eine junge Frau –, umringt von einer wütenden Menschenmenge. Die Gesichter waren unscharf, aber Haven erkannte die schwarze Haarmähne der jungen Frau als ihre eigene. Und sie wusste, das dies das einzige von Marta Vegas Bildern war, das nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zeigte.
    Nun betrachtete Haven das Gemälde zum ersten Mal seit diesem Tag wieder genauer und suchte nach der winzigen schwarzen Gestalt, die auf jedem von Martas Werken auftauchte. Diesmal fand sie sie nicht, was sie jedoch kein bisschen beruhigte. Vielmehr kam es ihr so vor, als sei die Figur aus der Leinwand heraus- und in ihr Leben getreten. Er war irgendwo dort draußen. Der Mann auf dem Bild – die Gestalt in Schwarz – verfolgte Haven schon seit Jahrhunderten.
    »Haven«, hörte sie Iain rufen, und seine Stimme klang ein wenig besorgt. »Was machst du denn da?«
    Haven schob das Bild zurück in den Schrank. »Bin in zehn Minuten fertig«, antwortete sie und überging seine Frage. »Sag dem Fahrer, er soll sobald wie möglich kommen.«

KAPITEL 2
    H aven hatte das alles schon einmal gesehen. Als sie am Ufer des Arno entlangspazierten, wurde das Gefühl, dies schon unzählige Male zuvor getan zu haben, beinahe übermächtig. Die meisten Leute hätten es wahrscheinlich mit einem Schulterzucken als Déjà-vu abgetan. Aber Haven wusste es besser. Wenn sie das Gefühl hatte, schon einmal in Florenz gewesen zu sein, dann konnte sie mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es auch so war. Nur eben nicht in diesem Leben.
    Havens behandschuhte Finger klammerten sich um Iains Arm. »Ich bin schon einmal hier gewesen.« Ein Stück vor ihnen spannte sich eine Brücke über die schmalste Stelle des Flusses. Auf beiden Seiten entlang der Brücke ragten verwahrlost wirkende Häuschen – orange- und safranfarben – über den Rand hinaus, sodass sie geradezu über dem Arno zu schweben schienen. Um einen der Pfeiler paddelten gerade zwei fette Bisamratten durch das eisige graue Wasser. »Ich habe gesehen, wie der Fluss diese Brücke fortgerissen hat. Ich muss sehr jung gewesen sein, als das passiert ist, aber ich erinnere mich ganz deutlich daran. Und dann habe ich zugesehen, wie sie wieder aufgebaut wurde.«
    Iains Atem blieb als Wolke in der Luft stehen, als er lachte. »Ich hab mich schon gefragt, wann du es wohl merken würdest.« Iain konnte sich sehr viel klarer an die Vergangenheit erinnern als Haven – sehr viel klarer als jeder andere. »Das ist der Ponte Vecchio. Die Brücke wurde im Jahr 1333 von einer Flutwelle zerstört. 1345 haben sie sie wieder aufgebaut.«
    »Waren wir hier?«, wollte Haven wissen. »Im Jahr 1345?«
    » Du warst hier«, erwiderte Iain. »Ich bin im Jahr zuvor im Alter von sechzehn gestorben.«
    Haven zuckte noch immer unmerklich zusammen, wenn Iain erwähnte, wie einer von ihnen gestorben war, auch wenn das alles schon Hunderte von Jahren zurücklag.
    »Ich bin auf dem Weg nach Rom vom Pferd gefallen. Hab mir das Genick gebrochen. Aber eine Menge Leute würden wohl behaupten, dass ich ziemliches Glück hatte. Drei Jahre später hat nämlich etwas anderes die halbe Bevölkerung von Florenz dahingerafft – etwas, das viel schlimmer ist, als sich den Hals zu brechen.«
    »Was könnte denn schlimmer sein, als sich den Hals zu brechen?«
    »Der schwarze Tod.« Iain nahm Havens Hand und zog sie mit sich, weg vom Fluss bis zu den hohen grauen Säulen der Uffiziengalerie. Die Wintersonne verlor langsam ihre Kraft, und auf dem Innenhof des Museums war es eisig kalt. Hier und da schimmerten Eisflächen, die sich blitzschnell über das Pflaster auszubreiten und zu vervielfältigen schienen. Eine spanische Touristengruppe bibberte in ihren Daunenparkas. Die Frauen darunter starrten Iain an, als wäre eine der Statuen aus dem Museum plötzlich zum Leben erwacht. Ein paar von ihnen zeigten auf ihn und tuschelten. Iain merkte nichts davon – das tat er fast nie –, aber Haven lächelte und schmiegte sich noch enger an ihren gut aussehenden Freund.
    Als das Paar die Piazza della Signoria erreichte, blieb Haven wie angewurzelt stehen. Der Platz war verlassen, bis auf einen Mann in einer schwarzen Robe, die so lang war, dass
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