Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
zog ich die Augenbrauen hoch. Drei weitere CDs hatten sich wie durch ein Wunder auf die Theke geschmuggelt.
    »He!«, sagte sie unschuldig, »die wollte ich mir auch noch runterladen.«
    Ich zahlte, und sie drückte flüchtig ihre Wange an meine. Schnell erledigt.
     
    Wieder im Strom auf dem Boulevard Saint-Michel, nahm ich all meinen Mut zusammen: »Mathilde?«
    »Yes.«
    »Darf ich dir eine indiskrete Frage stellen?«
    »Nein.«
    Und ein paar Meter weiter, während sie ihr Gesicht verbarg: »Ich höre.«
    »Warum ist es zwischen uns so weit gekommen? So ...« Stille.
    »So was?«, fragte ihre Kapuze.
    »Ich weiß nicht – berechenbar – käuflich. Ich hole meine Visakarte raus und erhalte zum Dank eine zärtliche Geste. Wobei, zärtlich. Nicht mehr als eine Geste. Was – wie viel ist ein Küsschen von dir inzwischen wert?«
    Ich öffnete meine Brieftasche und nahm die Quittung heraus. »Fünfundfünfzig Euro und sechzig Cent. Okay ...«
    Stille.
    Warf sie in den Rinnstein.
    »Es geht ja nicht ums Geld, ich kauf dir gern die CDs, aber –es wäre mir viel lieber gewesen, du hättest mich vorhin begrüßt, als ich nach Hause kam, ich – so –«
    »Ich hab dich begrüßt.«
    Ich zog sie am Ärmel, damit sie mich ansah, hob dann die Hand und ahmte ihre lässige Geste nach. Lässig-gehässig. Abrupt zog sie den Arm weg.
    »Das ist nicht nur bei mir so«, fuhr ich fort, »ich weiß, dass es bei deiner Mutter genauso ist. Wenn ich sie anrufe, wenn ich weit weg bin und so dringend ..., redet sie von nichts anderem. Wie du dich verhältst. Eure Auseinandersetzungen. Immer diese Erpressungen. Ein bisschen Zärtlichkeit gegen ein bisschen Cash. Ständig. Ständig. Und ...«
    Ich blieb stehen und hielt sie noch einmal fest. »Antworte mir. Warum ist es zwischen uns so gekommen? Was haben wir nur getan? Was haben wir dir getan, dass du uns so behandelst? Ich weiß, die Leute werden sagen, das ist die Jugend, das schwierige Alter, die undankbare Zeit, diesen ganzen Blödsinn, aber du, Mathilde. Ich dachte, du wärst intelligenter als die anderen. Ich dachte, das würde bei dir nicht ziehen. Du wärst zu schlau, um dich in ihre Statistiken einzureihen.«
    »Da hast du dich wohl geirrt.«
    »Das sehe ich ...«
     
    » Dessen Zutrauen so schwer zu gewinnen war ...« Warum diese alberne Vergangenheitsform vorhin über meiner Kaffeetasse? Weil sie sich die Mühe gemacht hatte, eine Kapsel in die Maschine zu stecken und auf den kleinen grünen Knopf zu drücken?
    »He, ich bin ganz schön begriffsstutzig.«
     
    Auf keinen Fall.
    Wie alt war sie? Sieben oder acht, als sie im Finale eines Reitturniers verlor. Ich sehe sie vor mir, wie sie ihre Reitkappe in den Graben warf, den Kopf senkte und ihn mir ohne Vorwarnungin den Bauch rammte. Rums. Wie ein Widder. Ich musste mich an einem Pfosten festhalten, um nicht zu fallen.
    Gerührt, angeschlagen, außer Atem, die Hände in den Manteltaschen verfangen, habe ich schließlich meinen Mantel um sie gelegt, während sie mir das Hemd mit Tränen, Rotz und Pferdeäpfeln verschmierte und mir fast die Luft abschnürte.
    Kann man diese Geste »jemanden umarmen« nennen? Ja, beschloss ich, ja. Es war das erste Mal.
    Das erste Mal, und wenn ich acht Jahre sage, liege ich wahrscheinlich falsch. Ich bin ganz schlecht beim Alter. Vielleicht war es auch später. Mein Gott, es hatte Jahre gedauert.
    Aber sie war da, sie war da. Sie passte ganz und gar unter meinen Mantel, und das nutzte ich lange aus, mit eiskalten Füßen, schmerzenden Beinen, die in diesem verdammten normannischen Steinbruch festzuwachsen drohten, um sie vor der Welt zu verstecken und dümmlich zu grinsen.
     
    Später im Auto, als sie sich hinten wie eine Kugel eingerollt hatte:
    »Wie hieß dein Pony noch? Pistazie?«
    Keine Antwort.
    »Kleeblatt?«
    Daneben.
    »Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein! Zuckerschnute!«
    »...«
    »He? Was konntest du von einem hässlichen dummen Pony erwarten, das auch noch Zuckerschnute heißt. Mal ehrlich? Es war bestimmt das erste und letzte Mal, dass es ins Finale gekommen ist, unser dickes Zuckerschnütchen, das sag ich dir!«
    Ich war gemein. Trat großspurig auf und wusste nicht einmal mehr den Namen. Wenn ich daran zurückdenke, glaube ich, es war Mondfee ...
    Okay, sie sah mich sowieso nicht an.
    Ich stellte den Rückspiegel wieder höher und biss die Zähne zusammen.
    Wir waren in aller Frühe aufgestanden. Ich war erschöpft, mir war kalt, ich hinkte meinem Zeitplan hinterher und musste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher