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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie
Autoren: Carl Hanser Verlag
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haben, aber ich verstand einfach nicht, was. Ich – ich verstand gar nichts.
    Ich spielte mit einem Fläschchen voller Kügelchen herum, das auf dem Nachttisch stand.
    Nux Vomica 9CH, Schlafstörungen.
    Ja, das musste es sein, hier ist jemand echt gestört, knurrte ich und stand auf.
    Nux Vomica.
    Es war jedes Mal das Gleiche und wurde von Mal zu Mal schlimmer. Ich kam nicht mehr mit. Die Jahre entfernten sich, ich ...
    Komm, hör auf, schalt ich mich. Du bist müde und drehst dich im Kreis. Hör auf.
     
    Das Wasser war kochend heiß. Mit offenem Mund, die Augen geschlossen, wartete ich darauf, dass es mich von all den üblen Ablagerungen befreite. Der Kälte, dem Schnee, dem fehlenden Licht, den Stunden im Stau, den unendlichen Diskussionen mit diesem Idioten von Páwlowitsch, den im Vorausverlorenen Schlachten und all den Blicken, die mich noch verfolgten.
    Von dem Typ, der mir gestern seinen Helm ins Gesicht gefeuert hatte. Von all den Worten, die ich nicht verstand, die ich aber mühelos erraten konnte. Von der Baustelle, die mich überforderte. In jeder Hinsicht.
    Warum hatte ich mich bloß darauf eingelassen? Warum? Und jetzt! Jetzt fand ich inmitten all dieser Schönheitsprodukte nicht einmal mehr meinen Rasierer! Orangenhaut, schmerzhafte Regel, strahlender Teint, straffer Bauch, fettige Haut, brüchige Haare.
    Wozu soll dieser Plunder bloß gut sein! Wozu?
    Und für welche Streicheleinheiten?
    Ich unterbrach mich und feuerte den ganzen Kram in die Tonne.
     
    »Weißt du, was? Ich glaube, ich koch dir einen Kaffee.«
    Mathilde lehnte am Türpfosten der Badezimmertür, die Arme verschränkt, die Hüfte kokett zur Seite gestreckt.
    »Gute Idee.«
    Sie betrachtete den Boden.
    »Ja, äh, mir sind gerade zwei, drei Teile runtergefallen. Ich werde ... Mach dir keine Sorgen ...«
    »Nein, nein. Ich mach mir keine Sorgen. Das Spielchen bringst du doch jedes Mal.«
    »Ach?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Schöne Woche gehabt?«, fing sie wieder an.
    »...«
    »Komm! Einen Kaffee.«
     
    Mathilde. Das kleine Mädchen, dessen Zutrauen so schwer zu gewinnen war. Unendlich schwer. Wie groß sie geworden ist, mein Gott.
    Zum Glück hatten wir noch Snoopy ...
    »Geht’s dir jetzt besser?«
    »Ja«, sagte ich und blies über meine Tasse, »danke. Ich habe das Gefühl, endlich zu landen ... Musst du nicht zur Schule?«
    »Ä-ä.«
    »Arbeitet Laurence den ganzen Tag?«
    »Ja. Sie kommt direkt zu Omi. Neeee. Sag jetzt nicht, du hast es vergessen. Du weißt doch, dass sie heute Abend ihren Geburtstag feiert.«
    Ich hatte es vergessen. Nein, nicht dass Laurence morgen Geburtstag hat, sondern dass wir so einen netten Abend vor uns haben. Eine richtige Familienfeier, wie ich sie liebe. Genau das, was mir jetzt fehlt. »Ich habe noch kein Geschenk.«
    »Ich weiß. Darum habe ich auch nicht bei Léa übernachtet. Ich wusste, du würdest mich brauchen.«
    Die Jugend. Dieses ätzende Auf und Ab.
    »Weißt du, Mathilde, dein Schwanken zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt überrascht mich immer wieder.«
    Ich war aufgestanden, um mir nachzuschenken.
    »Wenigstens überrasche ich überhaupt noch einen ...«
    »Na na«, antwortete ich und strich ihr über den Rücken, » enjoy.«
    Sie sträubte sich. Ganz leicht.
    Wie ihre Mutter.
     
    Wir wollten zu Fuß gehen. Nach ein paar schweigsamen Straßen, jede meiner Fragen schien sie mehr zu nerven als die vorige, fingerte sie an ihrem iPod herum und steckte sich die Stöpsel in die Ohren.
    Okay, okay ... Ich sollte mir vielleicht lieber einen Hund halten, oder? Jemanden, der mich liebt und Freudensprünge macht, wenn ich von einer Reise zurückkomme ... Er muss ja nicht echt sein. Mit großen zärtlichen Augen und einem kleinen Mechanismus, der den Schwanz wedeln lässt, wenn ich seinen Kopf berühre.
    Ach, ich bin schon ganz vernarrt in ihn.
    »Bist du sauer?«
    Wegen dieser Dinger im Ohr hatte meine Begleiterin lauter gesprochen als üblich und sich umgedreht.
    Sie seufzte, schloss die Augen, seufzte noch einmal, nahm den linken Stöpsel heraus und steckte ihn mir ins rechte Ohr: »Hier, ich such dir was aus, was zu deinem Alter passt, das wird deine Stimmung heben ...«
     
    Und inmitten von Straßenlärm und Autoschlangen kamen aus dem Ende einer äußerst kurzen Leitung ein paar Gitarrenakkorde, die mich in meine weit zurückliegende Kindheit versetzten.
    Ein paar Noten und die perfekte rauhe und etwas gedehnte Stimme von Leonard Cohen.
     
    Suzanne takes you down to her
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