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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie
Autoren: Carl Hanser Verlag
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place near the river
    You can hear the boats go by
    You can spend the night beside her
    And you know that she’s half crazy ...
     
    »Schon besser?«
    But that’s why you want to be there.
    Ich nickte, wie ein trotziger kleiner Junge.
     
    »Super.«
    Sie war zufrieden.
     
    Der Frühling war noch weit weg, aber die Sonne machte schon erste Versuche, indem sie sich träge über der Panthéon-Kuppel reckte. Meine-Tochter-die-nicht-meine-Tochter-war-aber-auch-nicht-weniger-als-das hakte mich unter, um den Ton nicht zu verlieren, und wir waren in Paris, der schönsten Stadt der Welt, wie ich zugeben musste, seit ich sie regelmäßig verließ.
    So schlenderten wir durch das Viertel, das ich innig liebte, drehten den Großen Toten den Rücken zu, zwei kleine Sterbliche, über die sich in der friedlichen Menge der Wochenendspaziergänger niemand wunderte. Besänftigt, die Fäuste gesenkt, und im selben Rhythmus, for he’s touched our perfect bodies with his mind .
    »Verrückt«, sagte ich kopfschüttelnd, »und der Song kommt immer noch an?«
    »Na klar.«
    »Ich habe ihn bestimmt vor über dreißig Jahren in genau dieser Straße geträllert. Siehst du den Laden da?«
    Mit dem Kinn wies ich auf die Auslagen von Chez Dubois, einem Geschäft für Künstlerbedarf in der Rue Soufflot.
    »Wenn du wüsstest, wie viele Stunden ich sehnsüchtig vor diesem Schaufenster verbracht habe. Die Sachen brachten mich zum Träumen. Alle. Das Papier, die Federn, die Rembrandt-Farben. Einmal habe ich sogar gesehen, wie Prouvé hier rauskam. Jean Prouvé, kannst du dir das vorstellen! Tja, an dem Tag bin ich stundenlang durch die Straßen geschlendert und hab Jesus was a saior und so weiter gesummt, wirklich. Prouvé. Wenn ich daran denke ...«
    »Wer ist das?«
    »Ein Genie. Oder auch nicht. Ein Erfinder. Ein Handwerker. Ein unglaublicher Typ. Ich kann dir Bücher über ihn zeigen. Aber hm – um auf unseren Freund hier zurückzukommen. Mein Lieblingssong war Famous Blue Raincoat , hast du den vielleicht auch?«
    »Nein.«
    »Ach! Was lernt ihr heute eigentlich noch in der Schule? Ich war verrückt auf dieses Lied! Verrückt! Irgendwann war meine Kassette kaputt, weil ich sie immer wieder zurückspulen musste ...«
    »Warum?«
    »Tja, ich weiß nicht. Ich müsste den Song noch mal hören, aber ich glaub, es geht um einen Typ, der einem Freundschreibt, einem Kerl, der ihm die Frau weggeschnappt hat, und er will ihm sagen, dass er ihm verziehen hat. Irgendwie kam eine Haarsträhne vor, kann ich mich erinnern, und – tja – ich, ich kriegte ja kein einziges Mädchen rum, ungeschickt, wie ich war, linkisch und finster, es war absolut herzerweichend, ich fand die Geschichte hyper –, hypersexy . Tja, wie für mich geschrieben.«
    Ich lachte. »Noch was. Ich hatte meinem Vater in den Ohren gelegen, dass er mir seinen alten Burberry-Mantel gibt, hatte ihn blau gefärbt, was komplett in die Hose ging. Das Ding war gelbgrün geworden. Grässlich! Du kannst es dir nicht vorstellen.«
    Sie lachte.
    »Glaubst du, das hätte mich gebremst? Nix da. Ich habe mich in das Teil gezwängt, den Kragen aufgestellt, den Gürtel offen, Fäuste in Taschen löcherig wie Siebe, und los ging’s ...«
    Ich mimte für sie den altmodischen Typ, der ich damals war. Peter Sellers in seinen besten Tagen. »... mit großen Schritten habe ich mir einen Weg durch die Menge gebahnt, geheimnisvoll, kaum greifbar, und habe mich bemüht, all die Blicke zu ignorieren, die mich gar nicht meinten. Ach! Er hat sich bestimmt köstlich amüsiert, der gute alte Cohen, von der Anhöhe seiner großen Zen-Meister herab, das sag ich dir!«
    »Und was ist aus ihm geworden?«
    »Tja, er ist noch nicht gestorben, glaube ich ...«
    »Nein, aus dem Regenmantel –«
    »Ach der! Hat sich verflüchtigt, wie der ganze Rest. Aber frag mal Claire heute Abend, ob sie sich erinnert.«
    »Ja, und ich lad dir den Song runter.«
    Ich verzog das Gesicht.
    »Ist ja gut! Wir werden uns deswegen doch nicht wieder in die Wolle kriegen. Der hat genug Knete verdient, der Typ.«
    »Es geht doch nicht ums Geld, das weißt du genau. Die Sache ist viel ernster. Es –«»Stopp. Ich weiß. Das hast du mir schon hundertmal gesagt. Wenn es irgendwann keine Künstler mehr gibt, sind wir alle tot, bla bla bla.«
    »Genau. Wir leben dann zwar noch, sind aber alle tot. Das trifft sich ja gut ...«
    Wir waren bei Gibert angelangt.
    »Gehen wir rein. Ich schenk ihn dir, meinen gelbgrünen Paletot.«
     
    An der Kasse
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