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Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene

Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene

Titel: Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
Autoren: Alva Gehrmann
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bricht die Erde auf, mal bilden
     sich neue Berge. Alles verändert sich ständig. Diese Beweglichkeit überträgt sich aufs Lebensgefühl: Es muss fließen, offen
     sein. Pläne findet der Popliterat eher anstrengend. Besonders schlimm seien die Schweden, die organisierten schon sechs Wochen
     im Voraus ein Abendessen und wollten genau wissen, ob du kommst und mit wem. »Das macht mich verrückt«, sagt er und sieht
     einen mit seinem durchdringenden Blick an. Natürlich wäre es im Rahmen der Finanzkrise besser gewesen, man hätte mehr geplant,
     Isländern fehle es aber an   … er überlegt, sucht nach dem richtigen Wort. Auf Isländisch fälltes ihm nicht ein, dann sagt er irgendwann auf Deutsch: »Es fehlt uns an Ordnung.«
    Genau das macht Schweden und Deutsche, die mit Isländern zu tun haben und es aus ihrer Heimat gewöhnt sind, dicke Terminkalender
     zu züchten, wiederum beizeiten nervös. Wann treffen wir uns denn nun? Ich habe nur Donnerstag in zwei Wochen Zeit, bist du
     dann da? Natürlich machen die freiheitsliebenden Inselbewohner im Geschäftsleben Termine, doch es fällt ihnen schwer, sich
     lange im Voraus festzulegen. Wer also in Island nicht verrückt werden will, schaltet einfach um und ruft die Person, die er
     oder sie treffen will, erst ein oder zwei Tage vorher an. Früher wissen die meisten Isländer ohnehin nicht, ob sie Zeit für
     ein Treffen haben.
    Der Dichter Sjón gibt zu, dass seine Landsleute ein wenig verschroben sind. Fast 600   Jahre lang lag der Inselstaat unter dänischer Herrschaft unbeachtet vom Rest der Welt im fernen Atlantik. Es war fast so,
     als existiere er nicht. Mit der Unabhängigkeit im Jahr 1944 brach für die Isländer eine neue Zeitrechnung an: Innerhalb von
     sechzig Jahren holten sie auf, wofür Europa Jahrhunderte Zeit hatte. »Wir fühlten uns arm und begannen einfach dort, wo wir
     gerade waren. Für uns war alles neu«, sagt der 4 8-jährige Poet. »Wir haben mit unseren Isländersagas zwar ein großes kulturelles Erbe, sonst aber nur wenige Traditionen.« Sjón, der
     mit vollem Namen Sigurjón Birgir Sigurðsson heißt, schreibt Gedichte, Romane – wie zum Beispiel den ›Schattenfuchs‹, für den
     er 2005 mit dem Literaturpreis des Nordischen Rates ausgezeichnet wurde – und Songtexte für Björk. Die beiden kennen sich
     seit ihrer Jugend, manchmal trat er in den Achtzigern mit den Sugarcubes auf. Sjón stand der Sängerin auch bei, als der Regisseur
     Lars von Trier sie während der Produktionvon ›Dancer in the Dark‹ in den Wahnsinn getrieben haben soll – oder die beiden sich gegenseitig. Gemeinsam schrieben Sjón
     und Björk die Filmmusik.
    Björks Texte sind für den Poeten wie Fabeln, manchmal erzählt sie ihm bei einem Glas Rotwein in der Küche eine Geschichte,
     und daraus entstehen dann Liedtexte. Im Song »Wanderlust« etwa geht es um die innere Unruhe, die wir alle in uns tragen. Dies
     passt gut zur isländischen Mentalität: Die Isländer wollen immer etwas Neues schaffen. »Alt sein« bedeutet, man hat sichnicht weiterentwickelt, in diesem Punkt sind sie sehr amerikanisch. Die meisten Orte in Reykjavík verändern sich regelmäßig,
     Modeläden eröffnen, ziehen wieder und wieder um. Hotels entsorgen ihr klassisches Interieur und ersetzen es durch mattgraue
     Einrichtungen.
    Das Café Mokka
    Das Café Mokka, ebenfalls in 101   Reykjavík, ist einer der wenigen Orte der Stadt, die sich seit der Eröffnung 1958 kaum verändert haben. Sjón und ich zählen
     an diesem Tag eindeutig zu den jüngsten Besuchern. Die kauzigen Herren gehören quasi zum Inventar, sind über die Jahrzehnte
     mit dem Café gealtert. Das Mokka hatte die erste Espressomaschine Islands, eine Geschichte, die jeder kennt und erzählt, sobald
     der Name des Cafés erwähnt wird.
    Die Isländer erzählen gerne Geschichten, zitieren aus den alten Sagas, deren historische Manuskripte sie auch nach tausend
     Jahren noch lesen können, weil sich die Sprache seitdem kaum verändert hat. Sie ist vielleicht das Einzige in Island, das
     gleich geblieben ist und die Insel als Nation definiert hat – selbst während der Kolonialzeit   –, und so wird bis heute jedes neue Wort ins Isländische übertragen. Das Fernsehen heißt »Sjónvarp«, wörtlich übersetzt Sichtwurf,
     und der Computer (»Tölva«) ist eine Zahlenseherin – die Anpassung geht sogar so weit, dass die isländische Dependance des
     Computerherstellers Apple den Namen »Epli« trägt. Die
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