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Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene

Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene

Titel: Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
Autoren: Alva Gehrmann
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»Mama, das ist doch kein Problem. Wenn uns nichts einfällt, machen wir einfach eine Performance!«
    Irgendetwas findet sich immer. Sirra erzählte mir später, dass sie sich zwar schon grob überlegt hatte, mit dem Ort der Galerie
     zu arbeiten, etwas zu filmen, aber dass sie auch diesen Kick mag – etwas in kurzer Zeit zu kreieren. Die Galerie liegt in
     einem verwunschenen Hinterhof in der Torstraße 111 und ist einer der wenigen Plätze in Berlin-Mitte, die noch den Charme der
     Neunziger hat, als sich in scheinbar jedem Hinterhof und Keller eine Dienstagsbar, eine Mittwochskneipe oder ein geheimer
     Donnerstagsclub verbarg. Angesiedelt in einer Ruine, von der nur noch die erste Etage steht und aus der zweiten Birken in
     den Himmel wachsen, ist der Ort die perfekte Spielwiese für experimentelleKünstler wie Sirra und ihre Kollegen von der Kling & Bang Gallerí. Immer wieder kehren sie zurück und verwandeln den Hinterhof
     mit Happenings und Performances in ein Klein-Reykjavík. Genau wie diesmal.
     
    Diese Lust am Spontanen ist kein Künstlerphänomen, sondern Teil der isländischen Identität: Isländer planen nicht gerne, sie
     wollen, dass die Zukunft aufregend und ungewiss bleibt. Undirgendwie entspricht das ja ihrer weit abgelegenen Insel im Atlantischen Ozean. Natürlich machen auch sie Pläne und Termine,
     aber wer hier lebt, weiß, dass sich alles jederzeit ändern kann – durch Nieselregen, Schneestürme, Erdbeben oder Vulkanausbrüche.
     Die Natur zeigt den Isländern regelmäßig ihre Kraft und beeinflusst den Tagesablauf. Im Negativen wie im Positiven: Gibt es
     einen unerwartet warmen Tag, bekommen Schüler und Angestellte schon mal »sonnenfrei«.
    Die Aussprache im Isländischen
     
    Das isländische Alphabet verfügt über 32   Buchstaben, es gibt kein C, Q, W und in den siebziger Jahren wurde nach langen Debatten das Z abgeschafft. (Man sprach das
     Z ohnehin wie S aus, bei Eigennamen und Spezialitäten wie Pizza wird es aber weiterhin genutzt, denn »pissa« bedeutet im Isländischen
     »pinkeln«.) Dafür haben die Insulaner einige altnordische Zeichen: Das ð ähnelt dem stimmhaften »th« wie im englischen »this«;
     das æ wird wie »ai«   / »ei« ausgesprochen, das þ erinnert an das stimmlose »th« wie im engl. »thick«. Als wäre das nicht schon kompliziert genug,
     wird »ll« oft wie »ttl« ausgesprochen: Der Nationalpark Þingvellir heißt dann also Thingvettlir. Dagegen sind die Vokale mit
     Akzent á (wie: »au«) und é (wie: »jä«) noch relativ einfach, beim u gilt es ebenfalls, auf das kleine Häkchen zu achten. Denn
     »full« bedeutet voll (auch im Sinne von betrunken) und »fúll« stocksauer, da kann es leicht zu Missverständnissen kommen.
     Immerhin ist auf eines Verlass: Im Isländischen wird jedes Wort auf der ersten Silbe betont.
    Isländer müssen also von Natur aus flexibel und offen dafür sein, gerade gehegte Pläne wieder über Bord zu werfen. Das prägt,
     genau wie die Nähe untereinander in einer kleinen Gesellschaft mit knapp 320   000   Einwohnern, von denen fast zwei Drittel im Großraum Reykjavík leben. Viele kennen sich persönlich oder wissen zumindest, wer
     mit wem zur Schule gegangen ist oder mal ein Date hatte. Und im Zweifel ist man ohnehin miteinander verwandt. Das ist kein
     Klischee, sondern wissenschaftlich belegt.

Spontane Festivals
    Die familiäre Nähe und die bisweilen raue Natur prägen auch das Musikfestival »Aldrei fór ég suður« (übersetzt: »Ich fuhr
     nie nach Süden«; mit Süden ist Reykjavík gemeint). Es ist das beste Beispiel für die isländische Lebensart, »eine lustige
     kleine Kreatur«, so nennt der Musiker Mugison sein Festival. Zum ersten Mal tauchte diese Kreatur 2004 in Ísafjörður auf und
     kommt seitdem jedes Jahr an Ostern zurück – ähnlich wie die großen Wale, die sich gelegentlich vor der Küste tummeln, um dann
     wieder in den Weiten des Meeres zu verschwinden. Die Hafenstadt liegt im äußersten Nordwesten Islands und gehört zu den einsamen
     Westfjorden, von denen Halldór Halldórsson, derlangjährige Bürgermeister Ísafjörðurs, mal stolz sagte: »Diese Natur verlangt viel von dir, gibt dir aber auch viel zurück.«
    Wenn deutsche Veranstalter sich das Konzept und die Organisation des Aldrei-Festivals ansehen würden, sie würden die Hände
     über dem Kopf zusammenschlagen. Das beginnt schon mit den örtlichen Gegebenheiten: Die Anreise aus dem 457   Straßenkilometer
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