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Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Titel: Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)
Autoren: Mario Vargas Llosa
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was, versichert er, »den größten Impuls für die Demokratisierung der Kultur in der neueren Zeit« bedeute. Volpi glaubt, dass das digitale Buch sehr bald viel billiger sein wird als das aus Papier, und die Texte würden dann »nicht mehr nur mit Bildern, sondern mit Audio und Video angereichert«. Buchhandlungen und Bibliotheken, Literaturagenten, Lektoren, Verlage und Vertrieb würden verschwinden, und was bleibe, sei allein die Sehnsucht nach dem Alten. Diese Revolution,sagt er, trage auf entscheidende Weise bei »zur größten demokratischen Verbreitung, welche die Kultur seit der Erfindung des Buchdrucks erlebt hat«.
    Wahrscheinlich hat Volpi recht, aber diese Aussicht, die ihn zum Jubilieren bringt, ängstigt mich und noch ein paar andere, etwa Vicente Molina Foix 14 . Im Unterschied zu Volpi glaube ich nicht, dass der Wechsel vom Papier- zum elektronischen Format harmlos wäre, ein bloßer Wechsel der »Verpackung«, es ist auch einer des Inhalts. Ich kann es nicht beweisen, aber ich vermute, wenn ein Schriftsteller virtuelle Literatur schreibt, wird er nicht mehr so schreiben, wie er es bisher getan hat, auf die Materialisierung des Geschriebenen aus, materialisiert in diesem konkreten, berührbaren und dauerhaften Gegenstand, der das Buch ist (oder uns zumindest zu sein scheint). Etwas von der Unkörperlichkeit des elektronischen Buchs wird sich auf den Inhalt übertragen, wie es ja auch mit diesen unbeholfenen Texten geschieht, die, ohne Satzbau noch sonstige Ordnung und mit ihren Stummelwörtern und ihrem Jargon oft kaum zu entziffern, in der Welt der Blogs, bei Twitter, Facebook und auf anderen Kommunikationsplattformen vorherrschen, als fühlten sich ihre Verfasser von jeder formalen Anforderung befreit und berechtigt, den gesunden Menschenverstand fahrenzulassen und die Grammatik und die elementarsten Grundsätze des sprachlichen Anstands zu missachten. Das Fernsehen ist bisher der beste Beweis dafür, dass der Bildschirm die Inhalte – dieGedanken vor allem – banalisiert und dazu neigt, alles, was über ihn flimmert, in ein Spektakel zu verwandeln, im äußerlichsten und vergänglichsten Sinne des Wortes. Mein Eindruck ist, dass Literatur, Philosophie, Geschichte, Kunstkritik, von Lyrik gar nicht zu sprechen, dass alle für das Netz verfassten kulturellen Manifestationen ohne Zweifel immer unterhaltsamer werden, das heißt oberflächlicher und flüchtiger, wie alles, was sich in die Abhängigkeit der Aktualität begibt. Wenn dem so ist, werden die kommenden Generationen schwerlich in der Lage sein, all das zu würdigen, was jene Werke wert sind und bedeuten, die ein Denken oder einen Akt der Schöpfung erfordern, denn sie werden ihnen genauso fern und exzentrisch erscheinen wie uns Heutigen die scholastischen Dispute des Mittelalters über die Engel oder die alchemistischen Abhandlungen über den Stein der Weisen.
    Außerdem besteht für Volpi, so darf man seinen Artikel verstehen, das Lesen nur im Lesen, das heißt darin, sich über den Inhalt des Textes zu informieren, und ganz zweifellos geht es unzähligen Lesern nicht anders. Doch in der Polemik, die sein Artikel auslöste, erinnerte Vicente Molina Foix ihn daran, dass »Lesen« für viele Menschen ein Akt ist, der neben der inhaltlichen Information auch und vielleicht zuallererst bedeutet, jene Schönheit zu genießen und auszukosten, die, so wie die Klänge einer großartigen Sinfonie, die Farben eines außergewöhnlichen Bildes oder die Gedanken einer scharfsinnigen Argumentation, von den Wörtern ausgehen, Wörtern, die an ihre materiellen Träger gebunden sind. Für diese Art von Lesern ist Lesen nicht allein ein geistiges Geschäft, sondern eine körperlicheÜbung, etwas, was, wie Molina Foix sehr schön sagt, »den Akt des Lesens unfehlbar um eine sinnliche Dimension erweitert. Die Berührung und die Immanenz eines Buches sind, zumindest für den Liebhaber, Variationen der Erotik eines bearbeiteten und mit Händen gefühlten Körpers, eine Art zu lieben.«
    Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Tablets und Reader, die sich, fade, nichtssagend, austauschbar und funktional bis zum Gehtnichtmehr, alle gleichen, ein solches mit Sinnlichkeit aufgeladene taktile Vergnügen bereiten können, wie die Bücher aus Papier es manchen Lesern schenken. Aber es ist nicht verwunderlich, dass in einer Zeit, zu deren Großtaten es zählt, mit der Erotik aufgeräumt zu haben, auch dieser verfeinerte Hedonismus verschwindet, der das geistige
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