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Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Titel: Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)
Autoren: Mario Vargas Llosa
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einstigen Glauben verlor, auf der Suche nach einem neuen bin, stürzte ich mich voll Hoffnung in die Aufgabe, herauszufinden, ob der Glaube dieses fröhlichen, das Englische malträtierenden koreanischen Dickerchens mir mein Problem wohl lösen konnte. Und so las ich das hervorragende Buch, das Eileen Barker, Professorin an der London School of Economics, über die Vereinigungskirche geschrieben hatte. Ich hatte sie bei dem Treffen in Cartagena kennengelernt, und wahrscheinlich hat niemand das Phänomen der vielen neuen Sekten so seriös und besonnen untersucht wie sie. Auf diese Weise erfuhr ich unter anderem, dass Reverend Moon sich nicht nur als vom Schöpfer beauftragt sieht, eine solche Kleinigkeit wiedie Vereinigung von Judentum, Christentum und Buddhismus in einer einzigen Kirche zu bewerkstelligen, er hält sich selbst auch für eine Hypostase von Buddha und Jesus Christus. Das disqualifiziert mich natürlich völlig, in seine Reihen einzutreten: Wenn ich mich schon, trotz der exzellenten Empfehlungen, die zweitausend Jahre Geschichte ihm ausstellen, als ganz und gar unfähig bekenne, an die Göttlichkeit des Mannes aus Nazareth zu glauben, werde ich eine solche schwerlich bei einem nordkoreanischen Evangelisten akzeptieren, der nicht einmal mit dem Internal Revenue Service der Vereinigten Staaten zurande kommt (welcher ihn wegen Steuerhinterziehung für mehr als ein Jahr ins Gefängnis schickte).
    Doch wenn die Moonies (und die 1600 neureligiösen Gruppen und Grüppchen, die das von Eileen Barker geleitete Informationszentrum INFORM ausfindig gemacht hat) mich skeptisch stimmen, so ergeht es mir nicht anders mit all denen, die sie seit geraumer Zeit bedrängen und die Regierungen auffordern, sie zu verbieten, mit dem Argument, sie würden die Jugend verderben, die Familie zerstören, dem Steuerzahler auf der Tasche liegen und die Institutionen des Staates unterwandern. Was in diesen Tagen in Deutschland mit Scientology passiert, verleiht dem Thema eine ungute Aktualität. Wie bekannt, versuchen in einigen Bundesländern – in Bayern vor allem – die Behörden, Mitglieder dieser Organisation vom Staatsdienst fernzuhalten, es gab Boykottkampagnen gegen Filme mit John Travolta und Tom Cruise, weil sie Scientologen sind, und in Baden-Württemberg wurde aus demselben Grund der Pianist Chick Corea an einem Auftritt gehindert.
    Auch wenn es eine absurde Übertreibung ist, solche Schikanen mit der Verfolgung der Juden unter den Nationalsozialisten zu vergleichen, wie es, erschienen als ganzseitige Anzeige in der International Herald Tribune , ein »Offener Brief an Helmut Kohl« tut, in dem vierunddreißig Hollywood-Größen diese Aktionen gegen Scientologen scharf kritisieren, so sind sie doch eine flagrante Verletzung der Prinzipien von Toleranz und Pluralismus in einer demokratischen Kultur und ein gefährlicher Präzedenzfall. Man mag Herrn Cruise und seiner schönen Frau Nicole Kidman vorwerfen, sie hätten einen stumpfen Sinn und einen fürchterlichen literarischen Geschmack, wenn sie die Lektüre der wissenschaftlich-theologischen Machwerke des L. Ron Hubbard, der vor vier Jahrzehnten die Church of Scientology gründete, den Evangelien vorziehen – einverstanden. Aber müssen die Behörden da ihre Nase hineinstecken, Behörden eines Landes, dessen Verfassung den Bürgern als Grundrecht garantiert, an das zu glauben, was sie wollen, oder eben an nichts?
    Das einzige echte Argument, will man die »Sekten« verbieten oder ausgrenzen, steht einer demokratischen Ordnung nicht zu Gebote – im Gegensatz zu Gesellschaften, in denen die religiöse und die politische Macht eins sind und wo, wie in Saudi-Arabien oder dem Sudan, der Staat bestimmt, welche Religion die wahre ist, und sich deshalb das Recht anmaßt, die falschen zu verbieten und Ketzer, Frevler, Andersgläubige zu bestrafen, sämtlich Feinde des Glaubens. In einer offenen Gesellschaft geht das nicht. Der Staat muss den je eigenen Glauben respektieren, so unsinnig er erscheinen mag, und darf sich nicht mit einer Kirche identifizieren, denndas hieße, dass er sich irgendwann zwangsläufig über den Glauben (oder Nichtglauben) einer großen Zahl von Bürgern hinwegsetzt. Wir sehen es in diesen Tagen in Chile, einer der modernsten Gesellschaften Lateinamerikas, die gleichwohl in mancherlei Hinsicht hinterm Mond zu leben scheint, denn es gibt immer noch kein Scheidungsgesetz, zu heftig ist der Widerstand der einflussreichen katholischen Kirche.
    Die
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