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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen
Autoren: Juli Zeh
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Idylle! – Und er ließe sich niedersinken zwischen kleine Wildblumen, deren Namen er nicht kennt.
    Das alles, es wäre nichts. Hätte ich den Fünften nicht an den Rand von Sniper Alley gestellt, neben das erst zerschossene, dann gesprengte, dann verbrannte ehemalige Hauptgebäude der Zeitung Oslobođ enje , in dessen Keller die Redakteure schrieben und schrieben und setzten und druckten, um täglich mit Zeitungsstapeln im Arm aus dem brennenden Gebäude und in die Stadt zu rennen, bis sie umziehen mussten in ein anderes Versteck.
    Er, der Fünfte, als Einziger, er würde leise sagen: Ach herrje, ich bin in Sarajevo.
    Zu sechst würden wir einen Spaziergang unternehmen und im Gleichschritt der Stadt ihren eigenen Namen ins Pflaster stampfen: Sa – ra – je – vo, Sa – ra – je – vo. Wir würden rasten im friedlichen Hof der Gazi Husrev-beg-Moschee, an deren schönem Portal ein einzelnes markstückgroßes Einschussloch wie das Leck am Rumpf eines Dampfers den ganzen mächtigen Koloss zum Sinken bringt. Dort würde einer von uns, ich weiß nicht wer, die Geschichte der blinden Weisen erzählen, wie sie der Welt erklären wollen, was ein Elefant sei. Ein Kohlblatt!, sagt jener, der das Ohr befühlt. Eine Schlange!, der mit dem Rüssel in Händen. Ein Baum! – Der Dritte umklammert das Bein. Der Vierte will zur Jagd blasen auf dem linken Zahn. Und der Fünfte, auf Knien, wühlt am Boden im warmen Fladen. Scheiße, flüstert er wieder und wieder, alles Scheiße. Vielleicht weint er dabei.
    Dem Elefanten, übrigens, ihm ist das gleich.
    2002

Jasmina and friends
    S chon auf dem Rollfeld bricht uns der Schweiß aus unter unseren Winterpullovern. Snowboards und Skier werden aus dem Flugzeug geladen, in der prallen Sonne sehen sie nutzlos aus. Es ist zu warm für die Jahreszeit.
    In der Halle kommt uns eine junge Frau in Jeans und buntem T-Shirt entgegengelaufen, die blonden Haare flattern hinter ihr wie eine Standarte. Sie strahlt, als wäre sie allein für das plötzliche Frühlingswetter verantwortlich. Ich denke zwei Dinge auf einmal. Erstens: Das ist Jasmina. Zweitens: Das kann doch nicht Jasmina sein.
    Über den Wolken habe ich mich andauernd gefragt, wie ich mir den einzigen weiblichen DJ Bosnien-Herzegowinas vorstellen soll. Jasmina, muslimisch, erst 21-Jahre alt: Trägt sie Skater-Hosen, dicke Goldketten und Baseballmütze? Oder ist sie verschleiert und ständig auf der Hut, dass ihr das Kopftuch nicht in die Turntables gerät? Oder kahl rasiert mit riesigen Kopfhörern auf den Ohren? Es gibt nicht mal eine weibliche Bezeichnung für ihren Beruf: DJ-Frau, Discjockeyin, D-Jane. Und ihren Nachnamen bringt man auch nicht über die Lippen: Mameledzija.
    Die Unaussprechliche fällt uns förmlich um den Hals: Wie schön, dass wir da sind! – Es klingt nach: Schön, dass wir alle auf der Welt sind. – Das finden wir auch. Jasmina schenkt uns das Schild, das sie für unsere Abholung in großen Buchstaben gemalt hat: »Juli and friends«.
    »Aber wir haben uns ja sofort erkannt«, ruft sie und schleppt meine Tasche nach draußen. Hinter dem Zaun hebt sich ein bauchiges Transportflugzeug der SFOR in die Luft, träge dreht sich der olivgrüne Schirm einer riesigen Radaranlage. Zwei Hunde spielen zwischen den Rädern eines Privatflugzeugs. Jemand sagte einmal: Befestige eine Plane an den Rändern des Talkessels von Sarajevo, und du hast den größten Zirkus der Welt.
    What can I do to make you happy: Jasmina spielt am Radio, während wir auf der schnurgeraden »Scharfschützenallee« Richtung Innenstadt rollen. Dabei erklärt sie zerbombte und wieder aufgebaute Gebäude, zeigt auf die philosophische Fakultät, an der sie studiert, nennt die Namen von Clubs, in denen sie die Plattenteller bedient, und von Stadtvierteln, wo sie bereits gewohnt hat. Nach zwanzig Minuten Autofahrt ist die ganze Stadt von Jasmina erfüllt. Jeder Kieselstein ist ein alter Freund, in jedem Haus scheint sie jemanden zu kennen. Und sie hat noch kein einziges Mal beats per minute gesagt.
    Die Schornsteine dahinten gehören zu einem Fabrikgelände, auf dem sie und ihre Freunde Partys organisieren. Auf vier Etagen. Mit bis zu 12000 Gästen.
    »Das sind phantastische Nächte«, sagt sie. »Manchmal ein bisschen chaotisch. Einmal fiel mittendrin der Strom aus, da habe ich so lange auf Plattenhüllen getrommelt und gesungen, bis es weitergehen konnte.«
    So ist das hier – alles geht, nichts funktioniert. Die bosnische Hölle,
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