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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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durchschnittlicher Deutscher von durchschnittlicher Herkunft, Größe und Intelligenz ab und zu als Testperson herhalten muss.
    »Vielleicht ein Druckfehler«, schlägt F. vor. »Serben mit o.« Da die Frage von mir kommt, kann es nicht schaden, an Osteuropa zu denken.
    »Falsch«, sage ich. »Wusstest du, dass es in Deutschland ethnische Minderheiten gibt?«
    Klar, meint F.: Bayern, Schwaben und Sachsen.
    Jetzt im Ernst. Er soll die vier einzigen Volksgruppen aufzählen, die, auf deutschem Boden beheimatet, ihre eigene Sprache und Kultur pflegen. Zwanzig Sekunden Antwortzeit sind in Windeseile abgelaufen.
    »Sechs, setzen«, sage ich. »In alphabetischer Reihenfolge: Dänen, Friesen, Sinti und Roma, Sorben.«
    Wenn man auch Sinti und Roma als jeweils eigene Gruppe betrachtet, umfasst jede – ein eigentümlicher Zufall – etwa 60000 Angehörige. Aber daran liegt es nicht, dass unsere Minderheiten im Bewusstsein der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielen. Spanien weiß, wer die Basken sind. In Griechenland kennt man die Mazedonier und in der Türkei die Kurden. Unter das Wort »Sorben« malt die Rechtschreibprüfung von WORD eine rote Schlangenlinie. Minderheiten sind niemals berühmt. Höchstens berüchtigt.
    Damit F. etwas dazulernt, fahren wir jetzt dorthin. Wohin? Nach Bautzen. F. schafft es, gleichzeitig Nase, Kinn und Stirn zu runzeln. In Bautzen gibt es ein Oberverwaltungsgericht und das Gelbe Elend, den Stasi-Knast. Auch eine Stadt kann sich nicht immer aussuchen, wofür sie berühmt wird.
    »Bautzen ist tausend Jahre alt«, erkläre ich. »Dazu einer der wenigen Orte in Deutschland, wo du eine Kfz-Zulassung oder eine Baugenehmigung in slawischer Sprache beantragen kannst.«
    Für Kfz oder Haus fehlt Freund F. das Geld. Ich fahre mein schwerstes Statistikgeschütz auf: »Außerdem eröffnet in Kürze die zweihundertzehnte Kneipe.«
    Minuten später brausen wir auf der A4 Richtung Dresden und Prag. Wir erreichen die Autobahnausfahrt, bevor F. seine Berechnungen der aktuellen Pro-Kopf-Kneipendichte zum Abschluss bringen kann. »Budyšin« steht auf dem Schild. Das LKW-Aufkommen ist hoch, die Grenze zu Polen und Tschechien nicht weit.
    Beim Einfahren in die Stadt lese ich verzückt zweisprachige Straßennamen und informiere F. darüber, welche Wörter »ganz ähnlich wie im Polnischen, Tschechischen oder Kroatischen« sind. F. zählt einstweilen Türme, die mit ihren unterschiedlichen Hauben und Mützen wie riesige Schachfiguren zwischen schanzensteilen Dächern stehen, benagt von den flachen Strahlen der Vormittagssonne. Zwischen spiegelnden Granitgassen windet sich die Spree und lässt sich vom Wind den Rücken massieren.
    »Die sagen zum Beispiel Budissin statt Bautzen«, erklärt die Rezeptionsdame im Hotel, nach ihren slawischen Mitbürgern befragt.
    »Man spricht es mit weichem sch in der Mitte«, vermute ich und habe das Gefühl, mich heute überall unbeliebt zu machen. Die Rezeptionistin wird nervös, F. und ich stützen vier harte Ellbogen auf die Empfangstheke. Sorben bemalen Ostereier in Kratz-, Ätz- oder Wachstechnik, und die unverständliche Sprache wird vor allem von Omis benutzt, allerdings nur zu Hause. Dann Prozessionen zu Ostern, mit Pferden und Trachten. Aber dafür sind wir leider zu früh gekommen.
    »Sorben sind wie Narzissen«, meint F., »es gibt sie nur zu Ostern. Fahren wir heim.«
    Hier geblieben. Wir nehmen einen Stapel Broschüren mit aufs Zimmer, um mit trockenen historischen Fakten die Assoziationen zu verscheuchen, die das Wort »Minderheit« heraufbeschwört: Männer und Frauen, die entweder in Kniebundhosen und bestickten Kleidern niedliche Dinge für den Souvenirladen herstellen oder düstere, selbstgenähte Uniformen tragen und Sachen basteln, die man unter Autos befestigen kann.
    Bereits im sechsten Jahrhundert, lernen wir, siedelten slawische Stämme zwischen Ostsee und Erzgebirge. Entgegen ständiger Germanisierungsversuche und Unterdrückung erhielt sich ihre kulturelle Eigenständigkeit in der Lausitz über die Jahrhunderte hinweg. Zu DDR-Zeiten ließ sich ein Volk slawischen Ursprungs schlecht diskriminieren, und so entdeckten die Mächtigen der fünfziger Jahre das eher kapitalismusstämmige Motto: Was du nicht im Kampf erringst, das kaufe ein. Im Rahmen intensiver Förderung wurden sorbische Schulen eingerichtet, wissenschaftliche und kulturelle Institute eröffnet, Theater, Museen, ein Verlag und ein Radiosender gegründet. Nach der Wende erfolgte die

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