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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen
Autoren: Juli Zeh
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Mama, was soll ich tun?«
    Dann reicht sie mir ein altes Tape. Sie und Senada singen zur Musik von The Smiths laut mit: »Hang the DJ, hang the DJ!«
    In Travnik singen die Muezzine, im leichten Nebel wirkt alles ein bisschen surreal. Während wir durch die Straßen ziehen, wird unsere Gruppe immer größer. Jasmina wird an jeder Ecke gegrüßt, in jedem Café umarmt. Meistens von Männern.
    »Ich habe viel mehr männliche Freunde«, sagt sie. »Ich kann mit ihnen besser arbeiten, reden, feiern.«
    Sie spielt auch als einzige Frau in der fünfköpfigen Band Alternativa Nova , die gelegentlich zu internationalen Festivals eingeladen wird. Überhaupt ist Jasmina mit ihrem stupsnasigen Mädchengesicht überall das Nesthäkchen, immer mit einem offenen Ohr, einem Witz oder einer Umarmung zur Stelle. Maskottchen oder heimliche Chefin – ihre Energie ist so groß, dass alle Freunde und Bekannte um sie zu kreisen scheinen. Auf die Frage, ob sie so etwas wie eine Ikone sei, schlägt Jasmina mit den Armen um sich: »Die Mücken glauben das offensichtlich!«
    Der Nebel liegt jetzt unter uns. Wir stehen zwischen den Mauern der alten osmanischen Burganlage hoch über Travnik, schauen auf die Dächer der Stadt und die vielen bleistiftförmigen Minarette. Die frische Luft von den nahen Berggipfeln hat einen eigenen Geschmack, wie das magische Wasser der Quellen. Trinke es, dann kommst du immer wieder hierher, sagt die Legende. Wir haben schon Wasserbäuche. Die Mitglieder von Alternativa Nova und ein paar Freunde lagern auf den Ruinen am höchsten Punkt der Burg, manche mit Sonnenbrillen, einer mit Kopfhörern, fast alle mit Zigarette im Mund. Scherzworte fliegen hin und her, Arme werden gen Himmel gereckt. Jasmina and friends – es ist ein friedlicher, ja glücklicher Moment.
    »Die Menschen hier sind etwas Besonderes«, sagt sie ernst. »Sie haben den Mut, aus dem Nichts ein Etwas zu machen.«
    Das gilt nicht für jeden im Land. Frustration und Resignation sind groß, der Krieg hat vielen alle Möglichkeiten genommen.
    »Je jünger du warst, als der Krieg losging, desto besser. Desto weniger hattest du zu verlieren.«
    Aber auch die Jugendlichen verlassen Bosnien in Scharen. Jasminas Freunde in Travnik und Sarajevo lassen sich durch den berüchtigten Begriff von der »fehlenden Perspektive« so wenig wie möglich schrecken. Sie alle tragen eine persönliche Kriegsgeschichte mit sich herum, die von Verlust, Schmerz, Einsamkeit, Flucht und tiefem Erschrecken handelt. Sie reagieren nicht mit Rückzug, sondern mit Offenheit: So überlebst du. Freundlichkeit, Wärme, die Bereitschaft zu teilen und zu unterstützen halten sie nicht nur füreinander, sondern für jeden bereit, der Lust verspürt, sich ihrem Kreis zu nähern.
    Aber woher nimmt Jasmina so viel Kraft? Schulterzucken.
    »Hatte ich schon immer. Meine Devise war und ist: Tu, was du am liebsten willst, und höre auf niemanden. Außerdem esse ich jeden Morgen einen Löffel Honig.«
    Ihre Vorhaben verbrauchen gewiss eine Menge Honig. Als sie den ersten gesamtbosnischen Kulturführer gründen wollte, für die serbische Republika und den kroatisch-muslimischen Teil, lautete die Prognose: aussichtslos. Jetzt erscheint Vodič bereits in der dreizehnten Ausgabe. Finanziert wird das Magazin wie viele andere Projekte durch Schüler Helfen Leben (SHL). Die Hilfsorganisation wurde in Deutschland von Jugendlichen gegründet, die nach einer ähnlichen Devise leben wie Jasmina. Sie brachten schon zu Kriegszeiten einen Hilfskonvoi ins belagerte Sarajevo. Heute besitzen die etwa Zwanzigjährigen dort ein großes Haus und organisieren alles, was junge Menschen angeht, vom Konzert bis zur Kriegsdienstverweigerung. Bei SHL verdient Jasmina das Geld, von dem sie sich und ihre Eltern ernährt, und hat eine Plattform, um ihre Einfälle zu verwirklichen. Zum Beispiel eine Party im Kosovo.
    »Die hatten noch nie einen DJ gesehen«, erzählt sie. »Schon gar nicht einen weiblichen. Im Kosovo bin ich jetzt ein Star. Bloß Serben waren keine da.«
    Das ist in Bosnien anders. Für ihre Auftritte im bosnisch-serbischen Banja Luka wird die ganze Stadt mit Jasmina-Plakaten gepflastert. Es ist ein typisch muslimischer Name, und trotzdem kommen alle.
    »Gemischt-ethnische Ereignisse werden von der Presse immer noch an die große Glocke gehängt«, sagt sie. »Dabei ist das bei den jungen Leuten völlig normal.«
    Sie schiebt einen Finger unter das Bündchen meines Ärmels und schaut auf meine Armbanduhr.
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