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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang
Autoren: Benioff David
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Sie trug Fußkettchen mit violetten Perlen und schwarze Slipper wie die, die Bruce Lee in seinen Filmen trug. Ihre Hände lagen gefaltet auf dem straffen Schoß ihres grünen Kleidchens; ihr Gesicht unter der gefärbten Stoppelfrisur war breit und gelassen. Thailänderin oder Filipina? Sie lächelte Tabachnik an, und er lächelte zurück, dachte bei sich, dass ein guter Fotograf sie wunderschön aussehen lassen könnte.

    Der Gitarrist begann zu schnarchen. Der Bassist bastelte aus Streichhölzern kleine Soldaten; er hatte einen Stapel Redrüm-Zündholzbriefchen neben sich liegen und stellte seine Truppen auf dem grauen Teppichboden auf. Sie waren sehr gut gemacht, hatten winzige Speere und einen General auf einem Zündholzbriefchenpferd, und Tabachnik schaute zu und fragte sich, wann der Krieg beginnen würde.
    SadJoe trug kein Hemd. Sein schwarzer Irokese war mit großen Schuppen gesprenkelt. Der Kopf eines Rottweilers war unbeholfen auf seinen Hals tätowiert, der Name Candy in grüner Schreibschrift unter dem Nietenhalsband des Hundes eingeritzt. Die Luft war stickig von Marihuanarauch und Körpergeruch. SadJoe zog zufrieden am Joint, bis Molly ihn mit dem Ellbogen anstieß.
    »Andere wollen auch mal, Süßer.«
    Er grunzte und gab ihr den Joint; sie rauchte und gab ihn an Tabachnik weiter; Tabachnik nahm einen Zug, behielt den Rauch kurz im Mund und atmete aus. Er gab den Joint an den Bassisten weiter und fragte den Schlagzeuger: »Wie bist du zu dem Namen SadJoe gekommen?«
    SadJoe deutete mit Daumen und Zeigefinger einen Revolver an und schob ihn sich in den Mund.
    Molly sagte: »Er hat es satt, die Geschichte zu erzählen.«
    Wenn man sich SadJoe nennt, dachte Tabachnik, sollte man auf ein bisschen Neugier gefasst sein.
    »Ich erzähl’s ihm«, sagte der Australier. Das Weiße in seinen Augen war inzwischen überwiegend rot. Aus einem seiner Nasenlöcher rann ein Schleimfaden, und Tabachnik wollte schon etwas sagen, beschloss dann aber, es bleiben zu lassen.

    »SadJoe ist in New Jersey aufgewachsen«, begann der Australier. »Wo noch mal?«
    »In der Nähe von Elizabeth«, sagte SadJoe.
    »In der Nähe von Elizabeth. Und in der Straße, in der er gewohnt hat, ich nehme mal an, es war ein ruhiger kleiner Ort, da haben alle Kinder zusammen gespielt. Football und so weiter.«
    »Straßenhockey«, sagte SadJoe. »Straßenhockey war der große Hit. Ich war immer Torhüter. Der Torhüter ist der beste Sportler im Team.« Er gab Molly Minx einen Stups, und sie lächelte ihn an.
    »Dann haben eben alle zusammen Straßenhockey gespielt. Das war noch, bevor aus SadJoe SadJoe wurde. Damals hieß er einfach Joe.«
    »Einige haben mich Joey genannt.«
    »Okay. Und dann zieht eine neue Familie mit einem kleinen Jungen ein. Dieser Junge war leider von Geburt an nicht ganz normal. Irgendwie anders halt, stimmt’s?«
    »Er war ein Mongo«, sagte SadJoe. Molly warf ihm einen finsteren Blick zu, und SadJoe zuckte mit den Schultern. »Wie heißt das korrekte Wort für mongoloid?«
    Alle sahen Tabachnik an. Sein Gesicht hatte etwas, das den Eindruck erweckte, als wisse er Dinge, mit denen sich sonst niemand befasste.
    Er sagte: »Ein Junge mit Downsyndrom, nehme ich an.«
    »Mon-go-lo-id », sagte SadJoe und sang Molly die Silben ins Ohr. »Mon-go-lo-id.«
    »Aber ein liebes Kerlchen«, fuhr der Australier fort. »Hat immer gelächelt, immer gelacht.«
    »Manchmal hat er mich auf den Mund geküsst«, sagte SadJoe und kratzte sich unter der Achsel. »Aber ich glaub
nicht, dass er schwul war. Geistig Minderbemittelte können manchmal nicht zwischen Richtig und Falsch unterscheiden.«
    »Herrgott«, sagte Molly.
    »Jedenfalls«, sagte der Australier, »hieß dieser Junge Joe. Aber die Kids konnten ihn ja nicht Joe nennen, weil doch unser Freund hier schon so hieß. Also fingen sie an, ihn Happy Joe zu nennen.«
    »Er war ein nettes Kind«, sagte SadJoe.
    »Und wenn es«, schloss der Australier, »einen vergnügten Joe gibt, der Happy Joe genannt wird, dann wird aus dem anderen Joe irgendwann der traurige Joe, also Sad Joe.«
    »Tata!«, sagte Molly und steckte sich einen neuen Joint an.
    »Und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende«, sagte der Australier und blickte gierig auf das frische Dope.
    »Nicht wirklich«, sagte SadJoe. »Happy Joe wurde von einem UPS-Laster überfahren.«
    Alle starrten ihn an. Er seufzte und strich sich mit der offenen Hand über den harten Kamm seiner Irokesenfrisur. »Der erste Tote, den ich gesehen
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