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Allerliebste Schwester

Titel: Allerliebste Schwester
Autoren: Wiebke Lorenz
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fragt Eva.
    Marlene lächelt. »Natürlich. Deswegen bin ich gekommen, gerade jetzt muss ich doch da sein.«
    »Ja«, sagt Eva. »Es ist gut, dass du da bist.« Marlene nickt. Und dann verschwindet sie wieder.
     
    »Um Himmels willen! Wo warst du? Warum gehst du nicht an dein Handy?« Tobias stürzt ihr schon entgegen, als sie noch ein paar Meter von ihrem weißen Stadthaus in der Brahmsallee entfernt ist. »Ich wollte gerade die Polizei rufen!«
    »Spazieren«, erwidert Eva. »Ich wollte einfach ein bisschen frische Luft schnappen.« Tobias nimmt sie in die Arme, drückt sie fest an sich, verbirgt sein Gesicht in ihrem Haar, das sich mittlerweile aus der Spange gelöst hat.
    »Ich dachte, dir wäre sonstwas passiert!«
    »Was soll mir denn schon passiert sein?«, erwidert sie. Ihr Tonfall: amüsiert. Schließlich hat sie fast alles hinter sich, was passieren kann.
    »Du weißt doch, dass ich mir Sorgen mache, seit …« Er unterbricht sich, schiebt sie ein Stückchen von sich weg und betrachtet sie misstrauisch. »Hast du etwa geraucht?« Sie antwortet nicht. Er zieht ihre Hände zu seiner Nase, schnuppert daran. Aber bevor er etwas zu dieser unglaublichen Freveltat des heimlichen Rauchens sagen kann, fällt sein Blick auf ihre Handgelenke.
Ein Stück der Frischhaltefolie blitzt unter den Ärmeln ihres Mantels hervor: »Was ist das?«
    »Das ist für mich«, sagt Eva, geht an ihm vorbei durch die offene Tür ins Haus. Er eilt ihr hinterher, greift nach ihrer Schulter, zerrt sie im Flur zu sich herum.
    »Was das ist, will ich wissen!« Mit einem Ruck versucht er ihr den Mantel von den Schultern zu ziehen, die obersten zwei Knöpfe springen ab.
    »Lass mich!« Sie schubst ihn zurück, läuft so schnell sie kann, die Treppe hoch, stürzt ins Schlafzimmer, wirft die Tür hinter sich zu und schließt ab. Eine Sekunde später hämmert Tobias gegen das Holz, so fest, dass sie denkt, es wird splittern.
    »Was soll denn das? Mach sofort auf!« Sie geht zum Bett, lässt sich darauffallen und schließt die Augen. Mit einer Hand tastet sie nach der Folie an ihrem Handgelenk, erst am rechten, dann am linken. Sie lächelt. Hübsch, hat Marlene gesagt. Ja, Eva findet auch, dass sie hübsch sind. Dann schläft sie innerhalb weniger Minuten ein.
    Mitten in der Nacht erwacht sie, hört ein leises Klicken. Sie horcht, das Geräusch kommt vom Flur her. Sie steht auf, zieht den Mantel aus, legt ihn aufs Bett, öffnet die Schlafzimmertür. Tobias kauert auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt. In der einen Hand eine Zigarette, mit der anderen klappt er den Deckel des silbernen Aschenbechers neben sich immer wieder auf und zu.
    Er sieht auf, als sie vor ihm steht. Sie erinnert sich an
diesen Blick. So sah er aus, als er an Marlenes Grab stand, das hat sie nicht vergessen. Sie kniet sich zu ihm hinunter, setzt sich neben ihn.
    »Es tut mir leid«, flüstert er, »dass ich vorhin so ausgeflippt bin. Das wollte ich wirklich nicht, aber ich habe mir einfach so große Sorgen gemacht.«
    »Ist schon gut.«
    Er nimmt einen Zug von seiner Zigarette, drückt sie im Aschenbecher aus. Dann ergreift er Evas Hände, schiebt die Folie ein Stück an ihren Armen hoch, sieht, was sich darunter verbirgt.
    »Was ist denn das? Warum hast du das gemacht?«
    »Ich weiß nicht.« Marlenes Worte vom Bahnsteig.
    »Aber du musst es doch wissen! Man lässt sich nicht einfach so ein paar Kreuze tätowieren!«
    »Vielleicht weiß ich es.« Wieder Marlene. »Aber du würdest es nicht verstehen.«
    »Warum erklärst du es mir dann nicht einfach?« Er klingt wie ein verstörter Junge. »Ich bin doch dein Mann, warum sprichst du nicht mehr mit mir?«
    »Nicht mehr?«, will sie fragen. Aber stattdessen schweigt sie.
    »Ich will dich nicht auch noch verlieren.« Jetzt vernimmt sie Trotz in Tobias’ Stimme. »Wir müssen doch zusammenhalten. Du musst bei mir bleiben. Du musst!«
    »Das werde ich«, beruhigt sie ihn und streicht ihm mit einer Hand über die Wange. »Ich gehe nicht weg.«

4
    Zwei Wochen lang hat Marlene sich nicht mehr gezeigt. Seit Eva sie in der Isestraße gesehen hat. Das Leben ist weitergegangen wie immer: Tobias fährt morgens um neun in seine Agentur, auf dem Weg setzt er Eva in der Bücherstube ab. Abends wartet er Punkt sechs im BMW mit laufendem Motor vor der Buchhandlung. So zeitig dürfte er eigentlich gar nicht Feierabend machen, früher blieb er oft bis spät in die Nacht oder sogar bis zum nächsten Morgen in seiner Werbeagentur,
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