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Allerliebste Schwester

Titel: Allerliebste Schwester
Autoren: Wiebke Lorenz
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funktioniert. Mit dieser Erinnerung, die mich über die nächsten Wochen hinweg gerettet hätte, bis ich vielleicht doch schwanger und ich wieder mit Tobias glücklich geworden wäre. Immerhin fand ich keine Kondome mehr, Tobias war wieder öfter zu Hause, ich hatte die berechtigte Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wenden würde.
    Bis zu diesem Tag, dem Vorabend des elften Mai. Tobias rief aus der Agentur an, bat mich, sein Notebook, das er zu Hause auf dem Esstisch vergessen hatte, hochzufahren und ihm eine Datei zu schicken, die er dringend in der Firma benötigte. Ich ging ins Wohnzimmer, schaltete den Computer ein, schickte ihm das Gewünschte über sein Outlook zu, nachdem er mir das Passwort genannt hatte. Marlene war es, stell dir vor! Nicht dass es wichtig ist, ich wäre auch so nie auf die Idee gekommen, in Tobias’ Sachen zu schnüffeln, die Geschichte mit dem Mantel, reiner Zufall, Pech. Doch nun stand das Notebook aufgeklappt vor mir, das Postfach meines Mannes, ein Buch ohne jedes Siegel.

    Drei Stunden lang beachtete ich den Computer nicht weiter, wusch stattdessen Wäsche, bezog die Betten neu, aß etwas zu Abend, machte mich zum Schlafen fertig und ging zum Schluss noch einmal ins Wohnzimmer, um das Notebook wieder auszuschalten. Als ich davorstand, dachte ich an die Präservative und daran, dass ich schon wieder nicht wusste, ob Tobias wirklich in der Agentur war. Ich rief ihn fast nie dort an, er mochte es nicht, gestört zu werden, wenn er »kopfüber«, wie er es nannte, in der Arbeit steckte. Da habe ich halt nachgesehen, überprüft, ob ich irgendeine verdächtige Nachricht fände, etwas von der Frau, für die Tobias die Kondome gekauft hatte.
    In den gelöschten Mails fand ich, was du ihm geschrieben hast. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn endgültig zu entfernen, diesen Beweis.
    Du konntest mir das also nicht länger antun? Konntest deine arme Schwester nicht mehr hintergehen? Du hast es gekonnt, scheinbar mehr als einmal, ausgerechnet du! Jede andere wäre mir fast egal gewesen, eine kleine Praktikantin aus der Agentur, eine Kundin, irgendeine Frau, die ich nicht kannte und mit der mich nichts verband. Warum? Wofür hast du mich so gehasst? Dass du auf mich herabgeblickt hast, das habe ich gewusst. Dass ich für dich die langweilige, brave Marlene mit ihrem langweiligen, braven Leben war, hast du mich oft genug spüren lassen.
    Ich nahm es dir nie übel, verstand es sogar auf gewisse Weise. Tatsächlich habe ich dich oft sogar beneidet. Um deine Kompromisslosigkeit, deinen Mut, deine
Kreativität, um diese Lebendigkeit, die du immer versprüht hast und die dir nichts und niemand hatte aus dem Leib prügeln können. Ohne Wenn und Aber bist du deinen Weg gegangen, hast dich nie um Grenzen geschert, ja, das habe ich an dir bewundert. Aber dass du so weit gehen würdest, auf so eine Idee wäre ich nie gekommen. Ich verstand es einfach nicht, saß vor dem Computer, fassungslos, las deine Nachricht wieder und wieder, bis mir davon schwindelig wurde und ich vom Tisch aufspringen musste.
     
    Als ich mit dem Packen fertig war, meine Jacke angezogen hatte und hinunter in den Flur lief, stand Tobias in der Haustür und stellte gerade seine Aktentasche ab. Nur fünf Minuten später und er hätte mich verpasst, hätte das Haus leer vorgefunden und sich gefragt, wo ich war, so lange, bis er das Notebook und die geöffnete Mail entdeckt haben würde und ihm alles klar geworden wäre. So aber musste ich ihm sagen, dass ich alles wusste, die ganze Wahrheit und dass ich ihn verlassen wollte. Er hat gebettelt, Eva, hat mich angefleht, ihm das zu verzeihen. Dass es nur ein dummer Ausrutscher war, dass du ihm nichts bedeutest, nicht das Geringste, das hat er gesagt, dass er nur mich liebt und die Geschichte sofort beenden würde. All diese dummen Sätze, die in solchen Situationen wohl gesagt werden müssen, sprudelten aus ihm hervor, bis hin zu der Behauptung, dass er das ›alles erklären‹ könne. Als ich nichts davon hören wollte, kam die Wut. Drohungen, dass er mich so einfach nicht gehen lassen würde. Da hab ich die Reisetasche nach ihm
geworfen, der kurze Moment der Ablenkung reichte aus, um an ihm vorbei durch die Haustür zu entwischen.
    Ich rannte los, vorbei an meinem Auto und an Tobias’ Wagen, der dahinter parkte, dann musste ich es eben zu Fuß schaffen, allzu weit war es ja nicht, nur gut ein Kilometer von der Brahmsallee bis in die Heider Straße, wo Simon
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