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Allerliebste Schwester

Titel: Allerliebste Schwester
Autoren: Wiebke Lorenz
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hat.
    »Ich habe ihn verlassen«, murmelt sie leise, zwingt sich im gleichen Moment dazu, Simon wieder anzusehen. Er steht noch immer vor ihr, zeigt keinerlei Regung, hat den Blick auf seine verschränkten Arme gerichtet. Sie wartet einen Moment. Als er sich nicht rührt, weiß sie, dass sie gehen muss. Was hat sie auch erwartet? Dass er sie in seine Arme nehmen und über die verschwiegene Ehe lachen würde, als hätte sie sich nur einen dummen Scherz erlaubt? Ja, vielleicht hatte
sie das. »Es tut mir leid.« Sie dreht sich um, geht zur Wohnungstür, legt eine Hand auf die Klinke.
    »Nein.« Nur ein einziges Wort, gleichzeitig alle Worte, die Eva hören will. Sie wendet sich ihm wieder zu, jetzt ist die Falte zwischen seinen Augen verschwunden. »Bleib hier.«
     
    Später, als sie oben auf der Galerie in seinem Bett liegen und Simon ihr sanft über den Rücken streichelt, sie zwischen die Schulterblätter küsst, will Eva es ihm erzählen. Nicht alles, jede Frau braucht ihr Geheimnis, aber doch so viel, dass er versteht. Dass die Ehe mit Tobias - die genauen Umstände, wie es dazu kam, behält sie für sich, spricht nur vage von Verzweiflung, von gemeinsamer Trauer, die sie zusammenhielt - sie krank gemacht hat, so krank, dass sie darüber fast wahnsinnig wurde.
    »Ich habe Marlene gesehen«, erzählt sie. »Immer öfter tauchte sie auf, ich konnte mir ihr reden, sie sogar berühren.«
    »Eine Halluzination?«, will Simon wissen. Eva dreht sich zu ihm um, bettet ihren Kopf auf seine Brust, lässt ihre Fingerspitzen sanft über seinen nackten Bauch wandern.
    »Vielleicht, ja. Ganz sicher bin ich mir immer noch nicht. Manchmal dachte ich, sie sei wirklich zurückgekehrt, um mir zu helfen.«
    »Dir zu helfen?«
    »Sie hat gesagt, ich soll dir nicht erzählen, dass ich verheiratet bin, weil es sonst vorbei wäre.« Bei der Erinnerung
daran muss sie nun fast schmunzeln, liegt sie doch gerade in seinen Armen, sie, die verheiratete Frau, es macht ihm also doch nichts aus, die Lüge, sie wog schwerer als die Wahrheit. Im nächsten Moment spürt sie, wie Simons Körper sich anspannt, sein Bauch, gerade eben noch weich, mit einem Mal wirkt er bretthart. Eva hebt den Kopf, mustert sein Gesicht, die steile Falte, sie ist zurück.
    »Marlene war bei mir«, sagt er leise, schiebt sie ein Stück von sich weg, setzt sich auf und verschränkt die Arme vor der Brust.
    »Bei dir?« Sie richtet sich ebenfalls auf, lehnt sich neben ihn gegen die Wand hinterm Bett. Jetzt nimmt er ihre Hand.
    »In der Nacht, in der sie sich umgebracht hat, kam sie vorher zu mir.«
    »Zu dir?« Er nickt. Seine andere Hand, er fährt sich damit durch die Haare. »Warum?« Eine seltsame Taubheit breitet sich in Eva aus, dieses Gefühl, abgeschnitten, abgekapselt zu sein, das sie von früher kennt. Gleichzeitig ein Rauschen im Kopf, wie ein Wasserfall, es wird das Blut sein, das ihr in den Schädel schießt.
    »Es war total verrückt«, spricht er weiter, den Blick auf ihre ineinander verschränkten Hände gerichtet. »Auf einmal stand sie vor meiner Tür, sagte, sie habe ihren Mann verlassen und wolle mit mir leben.«
    »Warum?« Eine andere Frage fällt ihr nicht ein, nur wieder warum, warum, warum. Er lacht, aber der Laut erstickt sogleich.
    »Eigentlich war es nur ein harmloser Flirt, ich habe
ein bisschen für Marlene geschwärmt. Dass sie verheiratet war, wusste ich ja, und wenn wir uns unterhalten haben, hat sie nie erwähnt, dass es in ihrer Ehe kriselt. Ein paar kleine Andeutungen vielleicht, nicht mehr, man hätte es auch missverstehen können, dass ihr Mann zu viel arbeitet und sie sich manchmal wünschen würde, er hätte mehr Zeit für sie.« Wieder ein gepresstes Lachen. »Da habe ich dann halt so Sachen gesagt. Dass ich, hätte ich eine Frau wie sie, bestimmt keine Überstunden machen würde.« Er hebt den Kopf, sieht Eva an, scheint zu warten, dass sie etwas erwidert. Aber sie schweigt. »Irgendwann, ein paar Wochen vor ihrem Tod, rief Marlene mich an. Fragte, ob ich Lust hätte, etwas mit ihr zu trinken und ob sie mich besuchen solle. Natürlich habe ich nicht Nein gesagt, ich fand deine Schwester ja toll.« Nun ist es an ihm, zu schweigen.
    »Was ist passiert?«
    Er räuspert sich. »Wir haben miteinander geschlafen. Nur dieses eine Mal.« Schiebt entschuldigend hinterher: »Wir hatten beide ein bisschen viel Wein getrunken.«
    Also doch! Sie hat es ja von Anfang an geahnt, dass da mehr gewesen sein musste zwischen Simon und Marlene, nein,
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