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Aller Tage Abend: Roman (German Edition)

Aller Tage Abend: Roman (German Edition)

Titel: Aller Tage Abend: Roman (German Edition)
Autoren: Jenny Erpenbeck
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seinen Arm vor den Mund, und sie beißt hinein, weil sie nicht weiß, was sie sonst mit dem Arm soll, und er sagt: Ah, sie beißt fester zu, und er sagt wieder: Ah, und sie bekommt Lust, bis auf den Knochen in ihn zu beißen, da stößt er sie weg und packt sie wieder und dreht sie so herum, dass er ihr Kleid aufmachen kann, das hinten zugehakt ist mit einer langen Reihe von Haken, und auch ihr Mieder, währenddessen beugt sie ihren Kopf und löst die Nadeln aus ihrem Haar, und ihrer beider beherrschte, stille Beschäftigung ist die Vorbereitung zu etwas, das, wie wohl ausgemacht ist, weder beherrscht sein soll noch still. Das Zimmer, in das er sie eingeladen hat, ist klein und möbliert, die Gardine vergilbt, von der Waschschüssel, die auf der Kommode steht, blättert die Emaille schon ab, aber das sieht sie nicht, sondern sie sieht, dass die enganliegende Hose des Offiziers sich über dem Schritt deutlich wölbt, sie streicht mit der Hand über die Wölbung und wundert sich, dass sie das darf, und auch darüber, dass sie weiß, dass sie das darf. Manches an diesem Nachmittag ist anders, als es mit ihrem Mann war, das Glied des Offiziers biegt sich nach oben, statt nach unten, wenn er erregt ist, er leckt an ihren Brüsten, was ihr Mann niemals getan hat, und schlägt, wenn sie auf ihm liegt, mit der flachen Hand auf ihren Hintern, dass es klatscht. Für sie ist es an diesem Nachmittag zu jedem Zeitpunkt zu spät, um wieder zu gehen. Als aber die zwei Stunden, für die er das Zimmer gemietet hat, beinahe um sind, gibt er ihr einen Kuss auf die Wange und sagt: Wir müssen leider, mein Schatz. Sie sieht ihm dabei zu, wie er aufsteht, seine Beine sind sehnig und lang, viel länger als die ihres Mannes. Er bückt sich, um seine und ihre Sachen, die in einem Knäuel auf dem Boden liegen, auseinander zu sortieren, Kleid, Mieder und Strümpfe wirft er hinüber zu ihr auf das Bett, fährt seinerseits in die enganliegenden Hosen, eine Wölbung ist jetzt nicht mehr zu sehen. Er weiß nicht, dass sie schon einmal ein Kind auf die Welt gebracht hat, aber sie würde es ihm gern erzählen, nur wie? Sie steht jetzt auch auf und streift sich die Strümpfe über, währenddessen sucht er in seinem Portemonnaie. Vielleicht wird sie nun doch noch eins haben, und zwar von ihm, denkt sie und lächelt. Sie schlüpft in das Mieder, hakt es geschickt wieder zu, mit oder ohne Heirat, das wäre ihr jetzt schon egal, da hat er endlich den Geldschein gefunden, den er ihr zustecken will, sie jedenfalls wäre glücklich. Sie zieht das Kleid über den Kopf, es raschelt, und erst, als sie aus dem Kleid wieder auftaucht, sieht sie seine ihr hingestreckte Hand mit dem Schein, seine trockene, warme Hand, mit der alles begonnen hat, sieht seine Hand mit dem Schein und will beinahe lachen, und fragt: Was soll das denn? Aber er lacht nicht zurück, sondern sagt vielleicht nur: Für dich. Oder auch so etwas wie: Jetzt hab dich nicht so. Oder: Das stimmt so. Oder: Du hast es dir wirklich verdient, meine Schöne. Irgend so einen Satz sagt er zu ihr, da schaut sie ihn an, als hätte sie ihn noch niemals gesehen.
    Er aber nickt ihr zu, legt das Geld auf die Kommode, dreht sie dann, als sei sie ein Kind, das sich noch nicht selbst anziehen kann, mit dem Rücken zu sich und hakt ihr, die nun ganz und gar in sich versunken scheint, das Kleid zu, damit sie auf die Straße hinausgehen kann, ohne dass man ihr etwas ansieht. Im Weggehen streift er die weißledernen Handschuhe über und sagt:
    Du kommst bitte etwas später nach unten.
    Sie schaut ihn weder an, noch gibt sie eine Antwort, sie steht einfach nur in der Mitte des Zimmers und schaut zu Boden, so, als ginge der Boden in irgendeine, ihm nicht sichtbare Tiefe.
    14
    A ls ihr Mann, der mit seiner schweren Krankheit länger gelebt hatte als viele Gesunde, doch endlich starb, war die Alte der Einladung ihrer Tochter gefolgt, hatte ihre Hühner verschenkt, die Heilige Schrift, den siebenarmigen Leuchter und ihre zweierlei Sorten Geschirr eingepackt und war zu dieser gezogen. Das Halbdunkel, in dem sie ihr Leben verbracht hatte, ließ sie zurück, auch die paar Möbel, deren Füße zerschrammt und zerschunden waren, wenn sie begannen zu faulen, hatte ihr Mann die Säge genommen und sie um ein paar Zentimeter gekürzt, sie ließ den Lehmboden hinter sich, der der gleiche war wie draußen vor der Tür, die Enkelin hatte, als sie noch klein war, mit einem Stock Buchstaben hineingeritzt. Bald schon würde das
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