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Aller Tage Abend: Roman (German Edition)

Aller Tage Abend: Roman (German Edition)

Titel: Aller Tage Abend: Roman (German Edition)
Autoren: Jenny Erpenbeck
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meine Hilfe hier nicht erwünscht ist, kann ich auch gehen.
    Ach so, und wohin denn?
    Die Tochter schweigt.
    So hab ich es doch nicht gemeint, und das weißt du.
    Wissen tu ich überhaupt nichts.
    Die Eier bekamen sie früher von Johanna Sawitzki, inzwischen aber hat sich herausgestellt, die von Karel sind frischer. Das Kerosin für die Lampen ist im Preis gefallen, denn das galizische Erdöl wird nicht so schnell verkauft, wie es verdirbt, wenn es einmal zutage gefördert ist. Für Hering und saure Gurken zusammen machen sie ihrer Kundschaft einen besseren Preis als der Levi.
    In der Zeit, in der du herumstehst, wenn niemand da ist, hättest du aufwischen können. Zum Beispiel.
    Jaja.
    Mädel, das hier ist auch dein Geschäft, du bist erwachsen.
    Ausgesucht hab ich mir’s nicht.
    Ach, jetzt bin wohl ich schuld.
    Wozu habe ich denn in der Schule Goethe auswendig gelernt?
    Sei froh, dass du überhaupt eine Schule besucht hast.
    Jetzt hat das, was die Händlerin ihrer Tochter immer als Wahrheit verkauft hat, sich doch noch ein Leben verschafft. Jetzt ist die Tochter an ihrer Stelle die sitzengelassene Ehefrau, und sie dafür das, was sie, wenn auch verschwiegen, immer schon war: eine Witwe.
    11
    D ie Gmora kommt seltener her, und auch der Veitel, das kann schon sein. Dafür kommt aber seit Neuestem täglich, gerade dann, wenn die Mutter bei den Bauern die Eier und Milch holt, der Offizier, um sich Zündhölzer zu kaufen. Er sagt dann vielleicht, dass ihm gefällt, wie sie ihr Haar trägt, und sie fragt ihn vielleicht, ob beim Manöver mit echten Kugeln geschossen wird. Oder er sagt, dass es möglichst nicht regnen soll, wenn heute die Aufstellung geübt wird, und sie sagt, davon schmilzt man ja nicht, und lacht, und er sagt, sie habe ein schönes Lachen. Und einmal, als sie ihm die Zündhölzer über den Tresen reicht, hat er plötzlich den weißledernen Handschuh abgestreift, bevor er die Schachtel nimmt, und berührt kurz ihre Hand und sagt leise: Ich brenne, und sie sagt: Das macht einen Groschen, wie immer, weil sie glaubt, dass sie sich verhört hat. Beim nächsten Mal sagt er vielleicht nichts Besonderes und behält auch den Handschuh an, weil die Mutter neben ihr steht, denn am Sonntag sind die Bauern, von denen die Mutter sonst Eier und Milch holt, in der Kirche. Aber dann, zu Anfang der drauffolgenden Woche, als sie wieder allein hinter dem Tresen steht, schiebt er ihr stumm, indem er sie ansieht, mit dem Geldstück auch einen Zettel zu, den sie jedoch erst, als er fort ist, auseinanderfaltet und liest. Nichts weiter steht auf dem Zettel als: eine Straße, eine Hausnummer, ein Tag und eine Uhrzeit. So, denkt sie, und denkt auch, dass sie sich also doch nicht geirrt hat. Und später, am Abend, als sie allein in ihrem Bett liegt, in dem sie schon als Mädchen gelegen hat, und in das sie nach dem Tod ihres Kindes zurückgekehrt ist, um sich darin alt zu schlafen, und eines Tages vielleicht, wer weiß, sogar darin zu sterben, später, am Abend, als der Abend im Grunde genommen schon Nacht werden will, weiß sie eigentlich nicht, was dagegen spricht, dass sie um die angegebene Zeit dahin geht, wo der Offizier sie erwartet.
    Ja, warum denn auch nicht? Ihr Mann ist fort, das Kind gibt es nicht mehr, und der Mutter muss sie es schließlich nicht sagen. Sie will. Ihr ist, wenn sie an die warme, trockene, beinahe rauhe Hand des Offiziers denkt, ganz schwindlig vom Wollen. Ihr Wollen verzweigt sich bis in die Enden ihres Körpers hinein, bis in die Glieder ihrer Finger, ihrer Zehen, bis zwischen die Beine hinein ist ihr schwindlig. So also ist es, wenn die Versuchung aufhört, ein bloßes Wort zu sein, und in ein Leben hineinfährt, einer beliebigen Frau unter den Rock fährt und durch deren sterblichen Körper hindurch plötzlich mit aller Macht dasteht. Ausgezeichnet sei der, der versucht wird, denn nur er bekomme Gelegenheit zu widerstehen, so hatte der Großvater es ihr vor Jahren einmal erklärt, als sie, halbwüchsig inzwischen, wieder einmal auf der Fußbank saß, während ihre Mutter mit Pferd und Wagen über Land fuhr, um Ware zu kaufen.
    Und was bekommt man dafür, dass man standhält?
    Zu widerstehen, darin besteht schon der Lohn.
    Das hieße ja, ich bezahle mich selbst.
    Nur, wenn du widerstehst.
    Wenn ich widerstehe.
    Der Herr will, dass du dich seiner würdig erweist.
    Mehr will er nicht?
    Mehr will er nicht.
    Dann geht es nur um mich?
    Um dich, als Teil des Ganzen.
    Dann bin eigentlich ich seine
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