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Aller Anfang ist Mord

Titel: Aller Anfang ist Mord
Autoren: Jutta Maria Herrmann
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Stirn von der Fensterscheibe. Ein fettiger Abdruck bleibt zurück. Ich gehe an der offenen Küchentür vorbei nach oben. Die Treppe knarrt bei jedem meiner Schritte. Halb erwarte ich, dass sie mich zurückbeordert, aber es bleibt still. Ich verschwinde in mein Zimmer, knalle die Tür hinter mir zu, drehe den Schlüssel von innen um. Das Päckchen mit dem Tabak liegt ganz hinten in der unteren Schublade. Ich drehe mir eine Zigarette, zünde sie an und lege mich auf mein Bett. Atme weiße Rauchwölkchen gegen die Decke.
    Morgen, hämmert es in meinem Kopf. Morgen. Ich zerquetsche den Rest der Zigarette im Aschenbecher und stopfe mir die Stöpsel meines I-Pods in die Ohren.
    *
    Du setzt dich. Legst die Arme auf den Küchentisch. Drückst den Rücken gerade durch. Holst tief Luft. Geh zu ihr, denkst du. Nimm sie in den Arm. Rede mit ihr. Sag ihr ... ja, was? Dass alles gut wird? Dass du sie dieses Mal beschützen wirst? Du lachst. Kurz und freudlos.
    Dann stehst du auf, machst das Radio an, lässt Wasser ins Becken laufen, gibst ein paar Spritzer Spülmittel dazu. Du versenkst die schmutzigen Teller und Tassen im Wasser, beginnst mit hastigen Bewegungen abzuwaschen. Du möchtest laut schreien. Alles aus dir heraus schreien. Du tust es nicht. Du denkst an Morgen. Das Glas zerbricht in deiner Hand. Ein Tropfen Blut fällt ins Wasser, färbt den Schaum rosa. Erst als der Schmerz kommt, begreifst du, dass es dein Blut ist. Mit der Zunge leckst du es von der Hand, schmeckst das Spülmittel. Du spürst, wie Unbehagen in dir hoch kriecht, deine Kehle eng wird. Wie soll es weitergehen? Morgen. Der Schnitt in deiner Handfläche ist tief. Du brauchst ein Pflaster.
    Du hörst, wie Sina nach oben in ihr Zimmer geht. Du schreckst zusammen, als die Tür ins Schloss knallt. Sie gibt dir die Schuld. Sie sagt es nicht. Aber du liest es in ihren Augen. Die unausgesprochene Anklage. Du hast gelernt, diesem Blick auszuweichen.
    Du wirfst die Glasscherben in den Mülleimer, ziehst den Stöpsel aus dem Spülbecken, das Wasser läuft gluckernd ab. Du knipst das Licht an, setzt dich an den Küchentisch.
    „Wer bereut, dem vergibt Gott seine Schuld“, hat der Pastor zu dir gesagt.
    „Wie geht das: vergeben?“ Die Antwort ist der Pastor dir schuldig geblieben.
    „Du hast versprochen, zu ihm zu halten, in guten wie in schlechten Zeiten.“ Der Pastor hat gut reden, denkst du. Im Radio sagen sie für morgen sonniges Bilderbuchwetter voraus.
    Du löschst die Lichter im Haus und steigst die Stufen zu eurem Schlafzimmer hoch. Vor Sinas Tür zögerst du, bleibst stehen, lauschst. Drinnen ist alles ruhig. Du legst eine Hand auf die Türklinke. So verharrst du eine Weile. Die Stille tut weh. Unten in der Küche springt der Kühlschrank mit einem lauten Brummen an, du schreckst zusammen, flüchtest dich ins Schlafzimmer. Starrst das große Doppelbett an. Die leere Matratze auf seiner Seite.
    Du schlägst die Bettdecke auf deiner Seite zurück und legst dich hin. Deine Kleidung behältst du an. Du wirst nicht schlafen können, das weißt du.
    Irgendwann in der Nacht stehst du auf und setzt dich im Wohnzimmer ans Fenster. Dein Entschluss steht fest.
    *
    Hinter ihm fällt das Tor schwer ins Schloss. Er geht ein paar Schritte, zögert, bleibt stehen. Am Horizont hängt sich eine blasse Sonne an den von Wolkenschlieren durchzogenen Himmel.
    Er sieht die menschenleere Straße hinunter. Wieso holen sie mich nicht ab, denkt er. Obwohl er die Antwort kennt. Aber was hat er für eine Wahl? Wo soll er sonst hin?
    Er versenkt eine Hand in der Manteltasche und überquert die Straße. An der Haltestelle wartet bereits der Bus. Die Tür ist offen. Er steigt ein. Der Busfahrer nimmt den Fünfeuroschein entgegen, der Ausgabeschacht spuckt das Wechselgeld aus. Er nimmt die Fahrkarte, geht an den leeren Sitzen vorbei ganz nach hinten. Er rutscht auf der Bank bis ans Fenster, stellt seine Tasche neben sich ab.
    Ein Mädchen mit kurzen, braunen Haaren steigt ein. Sina, denkt er, und ein freudiger Schreck durchfährt ihn. Die Kleine kramt in ihrem Rucksack, hält dem Fahrer ihre Fahrkarte hin. Durch den schmalen Gang kommt sie auf ihn zu. Es ist nicht Sina. Natürlich nicht.
    Wie hübsch sie ist, denkt er, und so zierlich. Er kann den Blick nicht von ihr lassen. Sie sieht hoch, lächelt ihn an. Zwei Reihen vor ihm nimmt sie Platz. Er sieht ihren entblößten Nacken, den zarten Haarflaum. Er möchte sie berühren, die sanft geschwungene Linie bis zum Haaransatz mit den
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