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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman
Autoren: Kathrin Gerlof
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nicht mehr angefasst, nachdem die Brüste weg waren. Er
     hat sich sehr bemüht, lieb zu sein und freundlich, und er hat sie auch nie auf eine Art betrogen,dass es ihr unangenehm oder peinlich sein musste. Sehr diskret, mein Franz. Viel diskreter als ich mit dem Russen.
    Klara schaut auf die Uhr. Noch drei Stunden, bis sie sich mit Aaron davonmachen will. Sie holt das Schachspiel aus dem Schrank
     und stellt die Figuren auf. Ob ich noch den Schäferzug hinbekomme? Nach sieben Zügen ist der schwarze Gegner matt. Klara baut
     ihren Stolz langsam auf. Den wird sie brauchen, nachher, wenn es zur Sache geht.
    Franz hat sie nicht mehr begehrt, und sie hat aufgehört, sich als Frau zu fühlen. Stattdessen hat sie ein bisschen Karriere
     gemacht. Erst ein Russenflittchen, dann eine Systemtreue. Das sagt sie dem Spiegel. Es interessiert sonst niemanden mehr.
     Aaron vielleicht, aber der mit seiner ganzen toten Familie wird darin nur Unheil finden. Systemtreue sind dem bestimmt nicht
     angenehm.
    Es klopft kurz an der Tür, und im gleichen Augenblick steht schon die Zicke im Zimmer. Na, Frau Simon, brüllt sie, machen
     wir uns schön für den Ausflug heute Nachmittag?
    Klara starrt das Monster an und fragt sich, wen es heute schon zur Weißglut getrieben haben mag.
    Ich brauch noch eine Unterschrift, brüllt die Zicke. Weil Sie ja über Nacht bleiben wollen. Dass Sie mir nur keine Dummheiten
     machen.
    Die ist fast noch schlimmer, wenn sie gute Laune hat, denkt Klara und unterschreibt, was auch immer. Wahrscheinlich steht
     da, dass sie alles der Zicke vermacht, wenn sie stirbt. Egal. Sie hat sich das Heim nicht ausgesucht, also muss sie es auch
     nicht gut finden. Im Nebenzimmer poltert es, und dann kommt ein Jammern herübergeschwappt, das Klara kennt. Die Zicke kriegt
     wieder ihr Wärterinnengesicht und stürmt aus dem Raum. Ein paar Sekunden später hört Klara sie nebenan mit der Alten schimpfen.
     Die hat sich wahrscheinlich wieder ihre Windelvom Leib gerissen und die ganze Chose im Zimmer verteilt.
    Das wird alles bald auch meins sein, flüstert Klara. Aber ich werde mich vorher vom Hof machen. Muss das unbedingt mit Aaron
     besprechen. Wie man sich vom Hof macht, ohne dass sich da jemand einmischt. Da hätten wir uns alle viel früher drum kümmern
     müssen.
    Klara rafft sich auf und hängt das blaue Kleid wieder in den Schrank. Sie nimmt den grünen Wollrock und die Bluse mit den
     Streifen. Die zieht sie an und wieder aus und greift zu einem Pullover, den ihr vor vielen Jahren Henriette geschenkt hat.
     Ein richtig schönes Stück. Tiefrot. Den hat sie seit Ewigkeiten nicht mehr getragen. Aber er könnte passen zu diesem Tag.
     Henriette, Elisa, Olaf und noch ein Kind. Ein ganz junges. Klara bekommt nun ein bisschen Angst, weil ihr das alles einfällt.
     Vielleicht hat sie wirklich Krebs. Im Kopf. Jetzt fällt ihr alles ein, und dann ist es auch schon vorbei mit ihr. So könnte
     es laufen.
    Sie ist nun fertig angezogen, sogar die Ohrringe hat sie reingekriegt in die kleinen Löcher. Die waren noch nicht zugewachsen.
     Zwei Stunden Zeit noch. Klara macht den Fernseher an und das Radio. Sie muss auf jeden Fall wach bleiben. Und bei Sinnen.
     Keine leichte Aufgabe. Jeder Reiz von außen soll ihr da recht sein. Im Fernsehen versucht eine Frau mit zwei fetten Menschen
     zu reden. Das Publikum klatscht hin und wieder. Einer von den fetten Menschen fängt an zu weinen und beschimpft den anderen
     fetten Menschen. Mutter und Sohn, vermutet Klara, obwohl es schwierig ist, bei Dicken die Familienähnlichkeit festzustellen.
     Dicke sind alle dick und einander ähnlich. Findet Klara.
    Wenn Henriette und Elisa tot sind, müsste doch noch dieses ganz junge Kind da sein. Das ja wahrscheinlich zu Elisa gehört,
     wenn Klara sich das richtig zusammenreimt.Sie hat es nie kennengelernt, das Kind, aber irgendjemand hat ihr davon berichtet. Wer könnte das gewesen sein? Klara geht
     auf den Flur und läuft den Gang einmal hoch und einmal runter. Sie trifft niemanden. Alle ans Bett gefesselt, brummelt sie
     und reißt probehalber zwei Türen zu fremden Zimmern auf. In einem liegt die Jammergestalt, frisch gewindelt und festgeschnallt.
     An den Wänden sieht man noch die braunen Spuren des jüngsten Widerstands. Nur grob weggewischt, da muss wieder jemand mit
     einem Eimer Farbe kommen. Die werden uns bald in gekachelte Zimmer einsperren, sagt Klara zu der Jammergestalt, der sie vielleicht
     zusätzlich noch ein paar Tropfen gegeben
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