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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst
Autoren: Douglas Coupland
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gelungen herauszufinden, wie sie von diesen Menschen abstammen konnte.
    Tja, die Natur schlägt uns Schnippchen, damit uns nicht langweilig wird, nicht wahr? Zurück zum Geschäft...
    Sarah wusste, dass sie, falls sie während des Starts ums Leben kommen sollte, einen schnellen Tod haben würde. Sie kannte die Risiken. Sie hatte all die NASA-Legenden ge hört - in Flugzeugtreibstoff getränkte Leichen, die zu wandelnder Lava wurden; Techniker, die auf der Startbahn ein Sandwich aßen und aus Versehen in farblose, unsichtbare Ströme brennenden Wasserstoffs gerieten - sie waren im Handumdrehen verdampft - und natürlich der Challenger- Absturz 1986: Sie hatte im Autoradio davon gehört, als sie auf dem Weg zur Pepperdine University war, um dort einen Vortrag zu halten, und sie hatte ihren Wagen auf den Seitenstreifen der Autobahn fahren und nach Luft schnappen müssen, als hätte sie jemand in den Unterleib getreten. Aber jetzt - jetzt saß sie in ihren Sitz geschmiegt, und der Lift-off hatte begonnen. Zu ihrer Überraschung war das Dröhnen der Raumfähre so laut, wild und gierig, dass es eher wie eine Farbe klang, ein weißer Blitz, der um Frankensteins Kopf zuckte - ein kotzender Atomreaktor.
    Endlich, nach all diesen Jahren, fliege ich fort. Meine Arme ... mein Kopf - sie fühlen sich so unerklärlich schwer an, wie Kartons voller Lehrbücher - oder Felsbrocken in einem Fluss. Ich kann ja kaum blinzeln.
    Sie versuchte ihr Gehirn abzuschalten, den Moment zu genießen, als wäre es Sex, ihr Denken auszublenden, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Ständig drängten sich Bilder von der vorvergangenen Nacht in ihren Kopf, von Sanitätern, die ihre Mutter und ihren Bruder aus einem Sumpf in Volusia County zogen wie Insekten, die man aus einer Suppe löffelt. Eine Art Ausbackteig aus Schlamm und Blutegeln tropfte von ihnen herab, ihre Haut war zerfetzt und blutig, und ein Knochen ragte aus Wades Arm, während runde Schwären seine Beine überzogen - und das Merkwürdigste war, dass beide mit Handschellen aneinander gefesselt waren.
    »Mom! Wade! Guter Gort, wie ist das passiert?« »Lange Geschichte, Schwesterchen.« »Schatz, das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um dir das alles zu erklären.«
    Die Sanitäter spritzten die beiden mit frischem Wasser sauber, pflückten die Blutegel ab, schnitten ihnen die Sachen vom Leib, während sie ihnen Schmerzmittel injizierten und sie mit zerknüllten Mullbinden und einem Föhn abtrockneten. Eine Sanitäterin hatte die Handschellen mit einer hydraulischen Blechschere zerteilt.
    Eine bizarre Abfolge von Ereignissen hatte zu ihrer Rettung geführt - der kurze Anruf, um sich bei ihrer Mutter zu entschuldigen - die entsetzlichen Neuigkeiten -, dann war sie die antiseptische weiße Startrampe heruntergesprintet, hatte nach einem Radartechniker geschrien, der den Ort, von dem sie angerufen hatten, lokalisieren sollte - sich einen behelmten Quarantäne-Overall geschnappt und dann verbotenerweise die Quarantänezone verlassen, um einen Golf-Cart heranzuwinken, welcher sie dann im Eiltempo zum medizinischen Pavillon brachte. Verdammt, bin ich gut! Ich komme mir vor wie in einer M*A*S*H-Folge. Sie wusste, dass die Vorbereitungen für den Flug zu weit fortgeschritten waren, um noch Ersatz für sie zu finden. Ihr war klar, dass sie einen Verweis bekommen würde, aber eine Strafe befürchtete sie nicht, was sich als richtig erwies.
    Schnitt...
    Der Start ging weiter. Sarah wusste, dass sie Meilen über der Erdoberfläche sein musste - und die nächste Raketenstufe hatte noch nicht gezündet -, aber sie wurde von einem Vielfachen der Erdanziehungskraft in ihren Sitz gedrückt und war nicht in der Lage, sich umzudrehen und Gordons Blick zu erhaschen.
    Schnitt...
    Sie saß in dem Hubschrauber, der auf einer Holzbrücke von der trockenen, silbrigen Farbe eines Mottenflügels landete. Die Brücke überspannte einen riesigen Sumpf, aber die Suchscheinwerfer des Hubschraubers hatten ihre Mutter und Wade gleich gefunden. Gott segne Radar. Als der Pilot die Handschellen sah, fragte er ohne einen Anflug von Humor: »Sind das Häftlinge?«
    Die Rotoren kamen langsam zum Stillstand, und Sarah sprang aus dem Helikopter und schaute über den Rand der Brücke. Das Licht fiel von hinten auf sie, und sie wusste, dass sie ihrer Familie wie eine himmlische Erscheinung vorkommen musste, ein Uranium-Engel mit einem mit Plexiglas gepanzertem Kopf, der Funken von Energie und das Wort Gottes versprühte.
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