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Alien 2: Verborgene Harmonien

Alien 2: Verborgene Harmonien

Titel: Alien 2: Verborgene Harmonien
Autoren: Paul J. McAuley
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kaum
komplizierter als das rituelle Verhalten vieler Tiere. Nur weil wir
glauben wollen, daß die Aborigines intelligent sind, geben wir
ihrem Verhalten eine Bedeutung, die in Wirklichkeit nicht vorhanden
ist. Die Aborigines verfügen zwar ebenso wie wir über ein
hohes Sprechvermögen. Der Unterschied ist nur, daß wir
versuchen, uns mit ihnen zu verständigen, und sie
nicht.«
    »Sehr schön, Davey, aber wir sind noch nicht
fertig.« Die Frau schweigt einen Moment lang. Dies ist der Test,
den ihre Nichte, Daveys Schwester, nicht bestand. Wenn der Junge
jetzt ebenfalls versagt, wird die Bibliothek zum erstenmal seit ihrem
Bestehen in fremde Hände übergehen und nicht in direkter
Familiennachfolge weitergeführt werden.
    »Nehmen wir einmal an, dir werden die Bücher
anvertraut«, sagt die Frau. »Plötzlich kommt jemand
und fragt dich, wie man am besten Aborigines tötet. Würdest
du es ihm verraten?«
    »Nein, das Töten von Aborigines verstößt
gegen das Gebot des Rates der Fünfzehn.«
    »Eine andere Person kommt zu dir, jemand, von dem du nur
annimmst, er will den Aborigines Böses, etwa die Frau des ersten
Fragers. Sie fragt dich, wie man ein Gift herstellt, um Bisamratten
zu töten. Du weißt, daß dieses Gift auch Aborigines
töten kann.
    Sagst du es ihr?«
    Davey zeichnet mit einem Finger Kreise auf den Boden und denkt
scharf nach. Schließlich sagt er: »Ich habe doch die
Pflicht, es ihr zu sagen, nicht wahr? Es steht mir doch nicht zu,
darüber zu urteilen, ob jemand Wissen für eine gute oder
eine schlechte Handlung nutzen will, wenn man es mir nicht vorher
sagt. Andernfalls würde die Bibliothek zu einem Instrument des
Gesetzes, und wir würden uns selbst zu Richtern machen über
jeden, der sie benutzt. Genau das ist es doch, was die Stadt getan
hat, Tante, oder?«
    »Mehr oder weniger. Möchtest du jetzt immer noch deine
Frage stellen, Davey?«
    »Warum die Aborigines mit dem Fleisch die Fische
fütterten? Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Ich denke,
wir müßten dann schon genau ergründen, warum sie
etwas tun, oder? Es wäre nicht fair, nur zu raten. Es wäre
so, als wünschten wir, sie wären so wie wir.« Der
Junge sieht die Frau von der Seite an. Der Blütenkranz auf
seinem Kopf ist ihm über das Ohr gerutscht. »Ist das nicht
so?«
    »Ja, Davey.«
    »Und das war alles? Habe ich meinen Test bestanden?«
    Die Frau lächelt. »Ja, Davey, das hast du. Zumindest
diesen.«
    »Ich hatte gehofft, es gäbe keine weiteren mehr, aber
ich fürchte, bis dahin habe ich noch einen langen Weg vor
mir.« Dann lacht er, wirft die Arme hoch und ruft: »Ich
habe bestanden.«
    Als das Echo seine Rufes verhallt ist, sagt seine Tante: »Du
weißt, daß wir nie wirklich verstehen werden können,
warum die Aborigines jedes Jahr hierherkommen. Aber wenn du willst,
erzähle ich dir eine Geschichte, die dir hilft, das alles ein
wenig besser zu begreifen.«
    »Die Geschichte von Urgroßvater, von der Zeit, als die
Stadt unterging?«
    »Oho, du weißt ja schon einiges darüber. Dann hast
du auch sicher von seinem Freund gehört, der von Erde
kam.«
    »Na klar.« Der Junge streckt sich auf dem sonnenwarmen
Beton aus, nimmt den Blütenkranz von seinem Kopf und legt ihn
auf seine nackte Brust. Erfreut und erleichtert sieht seine Tante auf
ihn nieder. »Also hör zu«, sagt sie. Und während
die Sonne sinkt, der See dunkler wird und der Schatten des hohen
Gebäudes zu ihnen herüberwächst, erzählt sie
Davey die Geschichte von dem Computer, der zu stolz war, um zu
dienen, erzählt von seinem Plan, die Menschen zu beherrschen,
die aus der Gnade gefallen waren, wie dieser Plan vereitelt und die
Maschine tief im See ertränkt wurde; von dem Erdenmann; den
verschleppten Aborigines-Kindern und -Eiern.
    Als sie endet, leuchten die ersten Sterne am Himmel. Ihr Licht
spiegelt sich auf dem stillen, dunklen Wasser des Sees. Charons
fleckige Scheibe hat sich über dem großen Gebäude
erhoben. Ein Wind springt auf, und die Köpfe auf ihren
Pfählen nicken im Takt. Die Frau beugt sich über den Rand
der Platte, schöpft etwas Wasser und trinkt, um ihre vom
Sprechen trockene Kehle zu befeuchten. Es ist eine lange Geschichte,
und sie ist noch längst nicht vorbei. Solange nicht, bis die
Bibliothek versagt, ihr Wissen in falsche Hände kommt.
    Der Junge richtet sich auf und schaut zu dem hohen Haus
hinüber. Seine leeren Fensterhöhlen scheinen auf ihn
niederzustarren. Der Kranz ist von der Brust gerutscht. Der Junge
dreht die samtenen
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