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Alien 2: Verborgene Harmonien

Alien 2: Verborgene Harmonien

Titel: Alien 2: Verborgene Harmonien
Autoren: Paul J. McAuley
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der Knabe die Narben im Schritt sehen, die ihn als Schamanen
ausweisen. Er läßt die Artgenossen zurück,
überquert die Lichtung und verschwindet im Wald.
    »Ist es schon vorbei?« wispert der Junge.
    »Noch nicht, Davey. Sieh nur genau hin.«
    Die Aborigines stehen regungslos auf der Platte. Hinter ihnen
glättet sich die Seeoberfläche wieder, wird dunkel wie der
Himmel bei Nacht.
    Der Junge wischt sich mit einer Hand die Insekten, die sein Blut
trinken wollen, von der schweißnassen Stirn. Er sieht, wie der
Schamane auf die Lichtung zurückkehrt, und rührt sich nicht
mehr.
    Der Schamane trägt einen grünen Pfosten, zweimal so
groß wie er selbst, einen jungen Baum, der von den Ästen
befreit wurde. Die anderen Aborigines weichen zurück, als er
sich bückt und den Tierschädel aus dem Grasgeflecht
wickelt. Schnell watet der Schamane mit dem Tierschädel und dem
Pfosten zu den anderen Pfählen hinaus. Mit einem einzigen,
geschmeidigen Stoß rammt er den jungen Baum tief in den
schlammigen Untergrund, setzt den Tierschädel darauf und
fährt einmal mit der Hand darüber hinweg,
hinterläßt einen leuchtendroten Streifen. Während er
zum Ufer zurückwatet, weichen die anderen Aborigines langsam vom
See zurück, laufen über die Lichtung und verschwinden im
Wald. Der Schamane folgt als letzter.
    Dann ist die Lichtung leer. Unterhalb der Betonplatte schwingt der
neue Schädel inmitten der anderen auf seinem Pfahl leicht im
Wind.
    Die Frau richtet sich auf und wirft sich das Gewehr über die
Schulter. »Wirst du mir sagen, warum sie das getan haben, oder
gehört das alles auch wieder zu einem neuen Test?« fragt
der Junge.
    »Zuerst mußt du mir meine Frage beantworten, Davey.
Dann werden wir sehen, ob du deine Frage noch einmal stellen
willst.«
    Sie überqueren die Lichtung und treten auf die Betonplatte
hinaus. Die Frau zieht ihre Stiefel aus, hockt sich auf den bemoosten
Rand und läßt die Füße ins kalte Wasser
baumeln. Der Gewehrlauf überragt ihren Kopf. Ein Fischadler, die
Schwingen geöffnet, die Krallen zum Packen seiner Beute
gespreizt, ist auf ihre sanfte Schulterrundung tätowiert. Die
Frau hat sich die Tätowierung selbst an ihrem dreizehnten
Geburtstag in die Haut gestichelt – mit einer Nähnadel,
Lampenruß und einem Spiegel.
    Der Junge sitzt neben ihr und sieht zu dem hohen Gebäude auf
der anderen Seeseite hinüber. Zehn, elf, zwölf Stockwerke,
doppelt so hoch wie jedes Gebäude in Freeport. Auf seinem
Flachdach wachsen ein paar kümmerliche Bäume und recken
ihre Blätter der Sonne entgegen.
    »Sag mir, wieso die Aborigines intelligent sind,
Davey.«
    Der Junge hatte eine solche Frage schon erwartet, seitdem er und
seine Tante den Aborigines durch die Ruinen im Wald folgten. Sofort
antwortete er: »Sie benutzen Werkzeuge – Speere, um damit
Tiere zu töten, Steinmesser, um die Beute zu zerschneiden. Sie
machen Behälter, um darin Wasser zu transportieren, bauen
Hütten, in denen sie leben. Sie sprechen miteinander, singen vom
Land und der Art, wie es sich verändert. In jedem Dorf
verzichtet ein Aborigin auf die Fortpflanzung, um das Wissen von
einer Generation an die nächste weiterzugeben. Die Ernennung
jedes neuen Schamanen wird von einer Zeremonie begleitet, für
die eigens ein Sumpfschwein geopfert wird, um seinen Schädel wie
die da auf einen Pfahl zu stecken.« Der Junge deutet auf die
Schädel über dem dunklen Wasser.
    »Sehr gut. Und jetzt sag mir, wieso die Aborigines nur Tiere
sind.«
    Der Junge lächelt. Er kennt dieses Wechselspiel der Fragen
schon. Es soll ihn verunsichern. »Viele Tiere benutzen ebenfalls
Werkzeuge. Bisamratten tarnen ihre Bauten mit Stöcken, bestimmte
Vögel benutzen ihre Schnäbel, um Insekten aus verfaulten
Baumstämmen herauszupicken. Webervögel verarbeiten Gras wie
die Aborigines, um ihre Nester zu bauen. Die Menschen können
Werkzeuge auf unterschiedliche Weise herstellen. Die Aborigines
fertigen und benutzen ein Werkzeug immer nur auf dieselbe Weise.
Menschen machen Feuer, um sich zu wärmen und das Fleisch
abzukochen, um Parasiten abzutöten. Aborigines haben kein Feuer
und verzehren ihr Essen roh, wie jedes räuberische Tier seine
Beute. In vielen Gemeinschaften verzichten Tiere oder Individuen zum
Wohle der anderen auf die Fortpflanzung, wie beispielsweise die
Muir-Ochsen, die Räuber von den Jungtieren in der Herde
fernhalten, aber selbst keine Jungen zeugen können. Die
Verhaltensweisen der Aborigines, die wir Zeremonien nennen, sind
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