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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II
Autoren: Robert Thurston
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auf ein qualifiziertes Kind bezog, aber bei einem ausgemusterten war sie eine schreckliche Beleidigung, und ich hatte noch nicht in Erfahrung gebracht, in welche Kategorie Alicia gehörte. Ihr Vater reagierte jedoch auf meinen Ausrutscher nicht. Was in Anbetracht der wenigen Reaktionen, die ich an ihm beobachtet hatte, gar nichts bewies.
    Lange Zeit saßen wir da und sahen Alicia zu, die auf dem Floß herumtobte. Sie führte ein ruckartiges Tänzchen auf, das sie aus dem Film Holocaust des Jahres 2133 hatte. (Wir hatten ihn gestern abend gesehen.) Sie suchte sich auf dem Floß Schlammklumpen zusammen und rieb sich damit Arme und Stirn ein.
    Schließlich sprach ich. Höflich, taktvoll, klug und mit der erforderlichen Rücksichtnahme.
    »Ist Alicia ausgemustert?«
    Abgesehen davon, daß ich diese Information unbedingt haben mußte, hatte ich auch den perversen Wunsch, das Aufflackern einer Emotion im Gesicht dieses Mannes zu sehen. Aus beiden Gründen schlug mir das Herz bis zum Hals, als er mich ansah.
    »Nein.« Weder seine Stimme noch sein Gesicht gaben einen Hinweis auf seine Stimmung. Meine Erleichterung kann ihm nicht entgangen sein.
    Für den Fall, daß er dachte: Warum haben Sie gefragt?, erklärte ich: »Ihr wird soviel Freiheit zugestanden, daß ich mir nicht sicher war, welcher Fall hier – ich meine, einige von uns mußten – das heißt, der Bedarf an Wiederverwertungskörpern ist heute so groß, und – nun, die Anforderungen sind …«
    »Benutzen Sie immer die Bezeichnung Wiederverwertungskörper?«
    Sein Ton enthielt keine Kritik. Ich spürte sie trotzdem.
    »Nun, das ist der … der übliche Ausdruck.«
    »Ja, ich weiß.«
    Er sah wieder zu seiner Tochter hin.
    »Ich fürchte, Alicia droht die Gefahr, daß sie bei den nächsten Tests versagt.«
    Bei dieser Feststellung und der tonlosen Stimme, mit der er sie machte, überlief es mich kalt.
    »Was meinen Sie damit? Haben Sie nicht eben gesagt, sie sei nicht ausgemustert?«
    »Das habe ich gesagt, ja. Und für den Augenblick ist es die Wahrheit. Aber ich bin Wissenschaftler. Realist, wenn Sie das akzeptieren wollen.«
    »Natürlich akzeptiere ich es, aber was hat die Wissenschaft damit zu tun?«
    »Alles. Die Wissenschaft und die Politik. Und Alicia könnte gegen beide verlieren. Aber es hat keinen Sinn, sie mit Vorbereitungen auf die Tests zu quälen. Entweder schafft sie es, oder sie schafft es nicht.«
    Ich hätte ihn gern um eine Erklärung gebeten, doch ich wartete, während er lange schwieg.
    »Ursprünglich lag ihr Testergebnis gerade eben über dem Minimum. Sie bekam die seltene Beurteilung: qualifiziert vorbehaltlich neuer Tests. Ich bin mir nicht völlig sicher, ob der Grund dafür ihr Testergebnis ist. Ich habe – nun, bestimmte politische Sünden begangen, für die man mich vielleicht bestrafen will. Tatsächlich mögen ihre Leistungen sehr gut gewesen sein. Das Beste für Alicia mag sein, daß ich mich aus dem Gesichtskreis offizieller Stellen zurückziehe. Darüber denke ich nach. Trotzdem könnte sie bei der Testwiederholung versagen.«
    Ich nahm Zuflucht zum Klischee. »In den meisten Fällen ist das Ergebnis der Testwiederholung genau wie das erste. So heißt es jedenfalls. Nur bei einer statistisch unwesentlichen Anzahl von Kindern, die als qualifiziert vorbehaltlich neuer Tests eingestuft wurden, ist ein Absinken des Quotienten festgestellt worden, so daß sie doch noch ausgemustert wurden. Wer sich qualifiziert hat, bleibt qualifiziert, die Wahrscheinlichkeit beträgt …«
    »Ihre Mutter war ausgemustert.«
    Zweifellos seine größte politische Sünde, sagte ich zu mir selbst.
    »Oh, das tut mir leid.«
    »Es braucht Ihnen nicht leid zu tun. Sie war eine entzückende Frau.«
    Alicia rief uns etwas zu und hüpfte zurück ins Wasser. Sie schwamm auf uns zu. Mit wilden Armbewegungen besiegte sie den Widerstand des Wassers. Ich stellte mir vor, daß sie zu der statistisch unwesentlichen Zahl von Verlierern gehören könnte, und mir wurde ganz elend. Wenn es stimmte, was ihr Vater sagte, hatte sie nach der herrschenden Lehrmeinung zwei Tatsachen gegen sich. Ein Vater, der sich politisch kompromittiert hatte, war schlimm genug, aber ein ausgemusterter Elternteil war noch schlimmer.
    »Sie sehen also«, fuhr Mr. Reynal fort, »daß Alicia stärker von der Politik als von der Wissenschaft bedroht ist. Von Leuten, deren Spezialität es ist, den Hintergrund der Kandidaten zu erforschen. Sie durchstöbern ganze Aktenberge und kommen mit
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