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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II
Autoren: Robert Thurston
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hatte. Mit hängenden Schultern und leeren Augen wanderten sie wie ein Spaghetti-Strang in den Eingang der Erneuerungskammer, damit selbstsüchtige Qualifizierer wie Onkel V. sich ihrer Körper für die nächste Inkarnation bedienen konnten. Wenn meine Gedanken diese Richtung einschlugen, hörte ich auf, mich über fehlende Muscheln zu ärgern.
    Alicia machte einen zu aufgeweckten Eindruck, um ausgemustert zu sein, sie schien intelligent genug, um auch die schärfsten Testfolgen zu bestehen. Wenn sie ausgemustert war, sagte ich mir, mußte sie sich bei einem neuen Test unwiderruflich qualifizieren. Die Frage, der Zweifel nagten so an mir, daß ich mir gelobte, mich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit über Alicias Status zu vergewissern.
     

 
2
     
    »Komm, Onkel V. gehen wir schwimmen«, schlug sie vor, nachdem ich (wieder einmal) auf dem Rücken liegend zugestimmt hatte, mit ihr zu spielen. Was sie wollte.
    »Ich kann nicht schwimmen.«
    »Weißt du immer noch nicht, wie man das macht?«
    »Ich weiß, wie man es macht. Das habe ich schon gewußt, als Methusalem und Salomo die ersten Schritte taten.«
    »Dann hast du eben gelogen.«
    »Ich habe nicht gelogen. Ich weiß, wie man es macht, aber ich kann meine Beine nicht dazu bringen, daß sie richtig funktionieren. Sie machen Flop, wenn sie Flip machen sollten.«
    »Du machst immer Flip-flop. Flip-flop. Flip-flop.«
    Der Klang des Worts gefiel ihr. Sie umkreiste meinen hilflosen Körper und sang es wie eine Formel für ein Ritualopfer. Der Sand scheuerte meine Haut wund, und die Sonne versuchte, mir die Augen auszubrennen. Alicia wurde der Zeremonie schnell müde. Sie rannte zum Wasser und rief: »Du hast ja noch gar nicht versucht, ob du schwimmen kannst! Angsthase!«
    »Du kleine Hexe, ich kriege dich schon noch!«
    Das sagte ich in sitzender Haltung. Ich hatte Jahre gebraucht, sie zu erreichen.
    »Du kannst mich nicht kriegen, wenn du nicht schwimmen kannst.«
    Sie platschte ins Wasser, und ihre langen Beine stampften auf und nieder wie die Spindel einer altmodischen Nähmaschine.
    Eine Weile blieb sie stehen und bespritzte mich mit Wasser und Drohungen. Als ich mich steifbeinig auf sie stürzen wollte, kreischte sie, stolperte zurück, geriet kurz unter Wasser und kam in anmutiger Rückenlage wieder nach oben.
    »Ich rette mich auf das Floß, bevor du mich kriegen kannst!« schrie sie. Und natürlich schaffte sie es. Ich konnte nicht einmal ein Viertel des Weges zurücklegen. Dann mußte ich meine meuternden Muskeln zwingen, mich an den Strand zurückzubefordern, wo ich zusammenbrach. Ich muß wie eine Marionette ausgesehen haben, deren Schnüre gerade durchgeschnitten worden sind.
    »Nicht weiter als bis zum Floß, du böses Kind!« erschallte eine Stimme von einem Standort über und hinter mir. Alicias Vater, Mr. Reynal. Er kam kaum jemals an den Strand herunter. Über den Sand schritt er mit zögernden Füßen, so wie wir anderen an einem kühlen Tag die Zehen ins Wasser steckten, und er war immer von Kopf bis Fuß vermummt, obwohl er inkonsequenterweise hutlos ging. Bis dahin hatte er nur selten mit mir gesprochen. Ein stummer Gruß jedes Mal, wenn er mir seine Tochter überließ, ein Grunzen, wenn er sie wieder in Empfang nahm, eine schroffe Ablehnung jeder Einladung. Sein Gebrüll in diesem Augenblick war eine ebenso angenehme Überraschung wie sein zorniges Explodieren. Er war Astrophysiker, und sein normales Gesicht war so bar jeden Ausdrucks wie das eines Ausgemusterten in der Warteschlange.
    »Sie droht ständig, sie wolle das unvergiftete Gebiet verlassen«, erklärte er. »Sie wolle vom Floß aus zu dem Riff hinüberschwimmen und die Stellen finden, wo, wie die Sage behauptet, Menschen auf dem Wasser gehen können.«
    Zwei Sätze hintereinander waren bei ihm so etwas wie eine mir gewährte Gratifikation, und dazu kam noch die Ironie als ganz besondere Belohnung. Ich forschte in seinem Gesicht nach dein Gefühl hinter den Bemerkungen, aber sein Zorn war verschwunden, und er hatte seine übliche Passivität wieder angenommen.
    »Kinder drohen immer«, sagte ich, wobei es ein Geheimnis blieb, wo ich dies praktische Wissen erworben hatte. »Es ist nichts als eine Art Kompromiß mit den Kompromissen des Lebens. Sie müssen dagegen ankämpfen, ehe sie sich ihnen fügen. Alicia ist ein sehr aufgewecktes Kind.«
    Ich war bestürzt über meine Taktlosigkeit und hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen. Die Bemerkung war ganz harmlos, wenn sie sich
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