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Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Titel: Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
Autoren: Mohammed Hanif
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geben sollen. Am besten überhaupt keine Stelle. Dass man eine striktere Trennung zwischen Patienten und Pflegerinnen hätte verhängen müssen, dass sie unter Ihresgleichen hätte bleiben und innerhalb ihrer eigenen Religion hätte heiraten sollen (und natürlich werden einige auch behaupten, sie sei von vorneherein nicht für die Ehe geeignet gewesen), dass sie diese Rasierklinge von Gillette nicht in der Tasche ihrer Schwesterntracht hätte herumtragen sollen. Andere werden sagen, auf See geschlossene Ehen seien stets zum Scheitern verurteilt, während wieder andere nur etwas von Sitte und Anstand murmeln und sich für eine Änderung der Schwesterntracht aussprechen werden. Jemand wird sagen, das Krankenhaus sei schon 107 Jahre alt und sein Hauptzweck bestehe darin, Leben zu retten, und nicht darin, in VIP-Zimmern Schwänze zu lutschen. Man wird mit der Zunge schnalzen und den Fall mit der Feder moralisch sezieren, doch all das wird erst sehr viel später geschehen.
    Im Moment steht Schwester Alice noch vor der Einstellungskommission. Sie betrachtet den Gecko und ist überrascht, dass er an den Vorderfüßen fünf Zehen hat. Vierzehn Monate habe ich auf die Wände in der Besserungsanstalt gestarrt, wirft sie sich vor, und nie bemerkt, dass sie fünf Zehen haben. Es wäre ein Wunder, wenn ich die Stelle bekäme.
    „Meine Herren“, flötet Oberschwester Hina mit betelsaftiger Stimme, „mitunter müssen wir Mädchen einstellen, die über eine gewisse Erfahrung verfügen. Wie sollte es sonst gehen?“
    Es gelingt ihr, die Wörter „Mädchen“ und „Erfahrung“ in einen ganz neuen Zusammenhang zu bringen.
    Ortho Sir beugt sich vor und starrt mit verschränkten Händen auf seinen Ordner. Der Alien auf seinem Kopf scheint diesen Planeten zu seiner Heimat erkoren zu haben.
    „Wie steht’s mit der Betreuung von Wöchnerinnen?“ Seine Augen sind jetzt auf einer Höhe mit Alice Bhattis Brüsten. „Eingezogene Brustwarzen? Wie geht man damit um? Soll man etwas unternehmen? Haben Sie persönliche Erfahrnugen, von denen Sie uns berichten können?“ Ortho Sir fährt mit der Zunge an seinem Zahnfleisch entlang, als könnten ihm tatsächlich Brustwarzen zwischen den Zähnen stecken.
    Lüsterne Gesten, geflüsterte Andeutungen, ungebetene Hände an ihrem Gesäß – all das gehört zu Alice Bhattis Alltag. Sie hat über die Jahre eine ganze Wissenschaft entwickelt, damit umzugehen, aber diese trockene Zunge, die das zurückweichende, graue Zahnfleisch abtastet, lässt sie schaudern. Sollte sie die Stelle tatsächlich bekommen, wird sie am Ende vielleicht irgendjemanden kastrieren. Oder zumindest die Augen ausstechen. Oder die Zunge abschneiden. Oder dieses Zahnfleisch mit einer Zange über die schamlos nackten Zähne ziehen.
    Sie schaut wieder hinauf zu dem Gecko. Er hat sich bewegt, scheint aber kein Ziel zu haben. Er klebt an der Wand wie ein Emblem, dessen Sinn in Vergessenheit geraten ist.
    Alice Bhatti war an diesem Morgen von dem Lärm geweckt worden, den Joseph Bhatti beim Zersägen eines riesigen Holzbalkens verursachte, den er am Abend zuvor nach Hause geschleppt hatte – seine einzige Beute in diesem Monat –, um daraus ein Kreuz von der Größe eines Strommastes zu zimmern. Alice war mit dem Gedanken aufgewacht, wie sehr sie diese Stelle brauchte.
    Aber mit einer sich windenden, imaginäre Brustwarzen leckenden Zunge hat sie nicht gerechnet. Oder irrt sie sich? Eine Überreaktion?
    Bevor sie nach dem Vorstellungsgespräch den Raum verlässt, bleibt sie bei Noor stehen. Der Junge schreibt immer noch. Zum ersten Mal schaut er auf und lässt erkennen, dass er ihre Anwesenheit bemerkt. „Ist deine Mutter gestorben?“, fragt sie mit der Gleichgültigkeit eines Menschen, der gerade durch ein Bewerbungsgespräch gefallen ist. Sie senkt die Stimme zu einem Flüstern. „Draußen steht ein Polizeitransporter. Ich hoffe, sie sind nicht wegen dir hier.“

zwei
    „Wenn ich etwas über unsere Krankenhäuser gelernt habe, dann ist es das: Sobald diese Quacksalber besoffen sind, erinnern sie sich plötzlich an ihre Prinzipien und ihren blöden Eid … wie heißt er noch? Hippo-Dingsda?“ Kommissar Malangi legt den Arm um Teddy Butts Schulter. „Sogar die Ärzte, die in diesem Schlachthaus arbeiten. Man sollte meinen, dass man zumindest morgens normal mit ihnen reden kann. Aber was passiert? Jetzt tischen sie uns ihre medizinische Ethik schon zum Frühstück auf.“ Seine Hand streicht über die immens gewölbte
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