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Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Titel: Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
Autoren: Mohammed Hanif
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benannt sei. Mittlerweile muss er sich bei jeder kleinen Auseinandersetzung eher höflich zurücknehmen. Aber warum sollte jemand Einwände gegen eine Schwester haben, die zufällig katholisch ist?
    „Das stimmt, sämtliche guten Kräfte gehen nach Dubai und Toronto.“ Ortho Sir ist milder gestimmt, nachdem er die grundlegende Schwäche des ganzen Systems entlarvt hat. Niedertracht ist allerdings auch dabei, denn er hat gerade ein kanadisches Visum erhalten, das ihm mehr Selbstvertrauen verleiht als seine gesamten fünfundzwanzig Jahre Berufserfahrung als Orthopäde im Operationssaal, mehr sogar als seine beiden Reisen nach Mekka. Er fühle sich spirituell nun sehr viel gelassener, wie er seinen Kollegen immer wieder versichert, und zitiert ständig ein Hadith , in dem irgendetwas über Erkenntnis steht und dass man nach China reisen müsse. Bisher hat ihn niemand daran erinnert, dass Toronto nicht in China liegt. Zumindest noch nicht.
    Die Oberschwester mustert die Männer mit Verachtung, als hätten sie eine unsichtbare Grenze des guten Geschmacks überschritten, als wären „Stelle“, „Bewerbung“ und „Kandidat“ vulgäre Ausdrücke, die man in Gegenwart von Damen nicht gebrauchen sollte. Sie tut dies mit einem Zucken ihrer Oberlippe und betastet dabei ihre Stahlfrisur.
    Oberschwester Hina Alvi verfügt über mehr als fünfunddreißig Jahre Krankenhauserfahrung. Sie hat Aufstände und Massaker erlebt und einmal sogar der Frau eines ausländischen Ministers das Leben gerettet. Hina Alvi kennt sich aus. Alice Bhatti ist immer wieder erstaunt, wie die Oberschwester mit einer Bewegung ihrer Augenbraue alle Welt zum Gehorsam zwingt.
    Anfangs sitzt Alice Bhatti auf der Stuhlkante. Aber ihr ist etwas schwindlig und sie fürchtet, abzurutschen und mit in Richtung Decke gespreizten Beinen auf dem Boden zu landen. Als sie auf dem Stuhl etwas nach hinten rückt, macht er ein quietschendes Geräusch. Sie legt sich ihre Mappe auf den Schoß, nimmt sie jedoch gleich wieder auf und drückt sie an die Brust. Als sie merkt, dass sie mit dieser Geste die Aufmerksamkeit auf sich zieht, legt sie die Mappe wieder in den Schoß und schiebt sich die Hände unter die Oberschenkel, um sie vom Zittern abzuhalten.
    „Sind Sie jetzt Alice oder Bhatti?“ Ortho Sir glaubt, der Fortschritt des Landes sei nur gesichert, wenn die Leuteihren zweiten Vornamen nennen, das Hemd in der Hosetragen und ihm sein Honorar im Voraus bezahlen.
    „Beides. So heiße ich.“ Schwester Alice Bhatti kommt sich albern dabei vor, ihren Namen erklären zu müssen. Sie hat in ihrer Bewerbung ein paar Dinge geschönt, aber ihr Name gehört nicht dazu.
    „Es erstaunt mich, dass Sie eine so grundlegende Information zu verbergen suchen. Sie heißen doch mit vollem Namen Alice Joseph Bhatti. Schämen Sie sich für den Namen Ihres Vaters? Bhatti ist der Name eines geachteten Clans aus dem Panjab, und gewiss sind die Josephs ebenfalls eine geachtete Sippe, wo immer sie herkommen. Ich will Ihnen etwas erzählen: Mein Vater war Lehrer und fuhr fünfunddreißig Jahre lang täglich mit dem Fahrrad zur Schule. Immer die gleiche Strecke. Immer mit demselben Fahrrad. Und, schäme ich mich für ihn? Nein, das Fahrrad steht neben meinem Camry in meiner Garage. Damit meine Kinder es sehen und etwas daraus lernen. Halte ich es vor der Welt verborgen? Nein!“
    Dr. Pereira greift mit einem höflichen Hüsteln ein, ein überflüssiges Räuspern, während seine Finger einen halb vergessenen Jazz-Rhythmus auf dem Tisch trommeln. In der Nacht, in der sein Vater ihn rufen ließ und ihm kurz vor seinem letzten Atemzug das „Herz Jesu Krankenhaus für allgemeine Erkrankungen“ vererbte, hatte Jamus gerade eine Probe mit den Hawks Bay Kittens. Er saß am Schlagzeug. „Auf dem Bewerbungsformular ist kein Platz für weitere Namen vorgesehen, und Bhattis gibt es so ziemlich überall und in jeder Religion. Wenn wir dann also anfangen könnten …“
    „Also gut, Miss Alice Joseph Bhatti – warum sollten wir Ihnen die Stelle geben?“, fragt Ortho Sir, während er, ohne aufzuschauen, grimmig etwas in seine Mappe kritzelt. Der Sohn des Rad fahrenden Lehrers hat es im Leben weit gebracht, denn er weiß, wann es fortzufahren gilt.
    Oberschwester Hina Alvi bedenkt Alice mit einem huldvollen Lächeln, als würde sie ihr bereits alle Fehler vergeben, die sie in ihrer kurzen und wundersamen Laufbahn machen wird. Dr. Pereira schickt ihr stumme Botschaften: „Gelobt sei unser Herr Jesus
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