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Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Titel: Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
Autoren: Mohammed Hanif
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erinnert sich nur an Teddys lange Tage im Studio, die Abende, an denen er National Geographic sah, seine Albträume, in denen er murmelte: „Wir machen einen Spaziergang, wir brauchen beide frische Luft, keine Angst, dreh dich nicht um, sie mögen es nicht, wenn du dich umdrehst.“ Und dann fröstelnd aufwachte und sie ansah, als wäre alles ihre Schuld.
    Inzwischen ist sie vertraut mit dem Ablauf. Zuerst werden Andeutungen über ein bevorstehendes Vier-Augen-Gespräch mit dem neuen Polizeichef gemacht, was in der Folge mehrfaches Bügeln von Teddys Sachen nach sich zieht. Nachdem er sich sorgfältig angekleidet hat, verschwindet er in einem Hilux, der ihn abholt und am nächsten Morgen staubbedeckt und mit geschundenen Händen zurückbringt, als hätte er die ganze Nacht mit wilden Hunden gerungen. Er schlägt seine sechs Eier auf, würgt sie hinunter, macht ein Gesicht, als hätte er sich gerade erschossen, und fällt ins Bett. Die ersten paar Male zog sie ihm die Schuhe aus und versuchte seinen Gürtel zu lösen, aber sooft sie ihn berührte, rollte er sich
    zusammen und wimmerte, als wollten die Leute in seinem Traum ihm alle Knochen brechen.
    Wer also war dieser Teddy Butt? Alice irrt durch die Basare, als hoffe sie, die Antwort in der Auslage eines Schaufensters zu finden, um sie nach einigem Feilschen zu einem angemessenen Preis erstehen zu können. Sie geht durch den Empress Market, wo Paschtunen Tomaten und junge Falken an einem Stand verkaufen, Frauen mit Armreifen bis zum Ellbogen rosa Küken feilbieten, die auf Körben mit garantiert frischen Landeiern sitzen, ein Blinder Geldbäume in leeren Whisky-Flaschen hochhält, die ohne Erde wachsen, und ein Mann, der wie ein Burmese aussieht, ein Plastikgerät verkauft, das Zwiebeln, Karotten und Kohlrabi zu Rosen schneidet. Wozu wohl jemand eine Zwiebel in Rosenform braucht, fragt sie sich.
    Welche Frau heiratet einen Mann, der angesichts abschmelzender Gletscher in Tränen ausbricht und mit Sand in den Haaren von der Arbeit kommt? Sie betrachtet einen Käfig mit Hühnern, die flüchtend übereinander steigen. Dem einen, das erwischt wird, wird zu den endlos wiederholten Klängen von „Gott ist groß“ aus einem Kassettenrekorder die Kehle durchgeschnitten.
    Sie wendet sich ab und macht sich auf den Weg zurück zur Busstation. Das Gackern der Hühner und ihr Requiem verfolgt sie noch eine ganze Weile. Sie steigt in einen Bus zum Herz Jesu, als der Schaffner gerade auf die Seitenwand schlägt und dem Fahrer das Signal zur Weiterfahrt zuschreit. Sie weiß, sie muss auf Teddy nur im Herz Jesu warten.
    Ein Motorrad hält neben dem Bus. Sie glaubt den jugendlichen Fahrer zu kennen, weiß aber nicht, woher. Um besser sehen zu können, rückt sie ans Fenster, als ein anderer Junge in einem langen Mantel von hinten kommt und den Kopf in einen der wartenden Wagen steckt. Der Junge auf dem Motorrad beobachtet ihn ungeduldig und sieht dann zum Himmel. In diesem Moment erkennt sie in ihm den Jungen auf dem Poster. Hastig versucht sie auszusteigen, aber die Ampel wird grün und der Bus fährt an, bleibt jedoch sofort wieder stehen. Alice beobachtet den Tumult an der Ampel, während das ungeduldige Hupkonzert um sie herum immer stärker anschwillt.

dreißig
    Zainabs Mund steht offen, und auch ihre Augen sind weit geöffnet, aber Noor weiß, dass sie nicht mehr da ist. Eine Fliege sitzt auf ihrer Unterlippe, krabbelt in ihren Mund und kommt wieder heraus. Noor hat nicht die Kraft, sie zu verscheuchen. Sein heiles Auge ist trocken; das andere unter dem Verband pocht, als wolle der Augapfel abermals aus seiner Höhle springen.
    Bald nachdem Alice Bhatti in der Besserungsanstalt angekommen war, hatte sie Noor eine Plastikspritze zum Spielen gegeben, ohne Nadel natürlich. Monatelang war sie das einzige Spielzeug, das er besaß. Er benutzte sie als Wasserpistole, Waffe und Stift. Er injizierte damit auch jede Menge magische Flüssigkeiten in Zainabs Arm, um ihre Blindheit zu heilen. Eines Tages fing er einen Schmetterling, der sich durch die Gitterstäbe verirrt hatte. Er war so groß, dass er die Hälfte von Noors Handfläche bedeckte. Seine Schwingen leuchteten schwarz-gelb wie das Fell eines Tigers, und Noor hatte eine glänzende Idee. Er würde Schmetterlingssaft aus ihm machen. Er rollte die Flügel des Schmetterlings zusammen und führte ihn in den Zylinder ein. In seiner Vorstellung würde eine goldene Flüssigkeit mit schwarzen Streifen aus der Spritze kommen, wenn er
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