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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht
Autoren: Louis Bayard
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ein neues Licht auf Shakespeares Laufbahn werfen, gewürzt mit einer Prise Rache.
     
    »Komm hoch«, sagte Clarissa. »Und erklär mir den letzten Teil.«
    »Wenn wir diesem Brief Glauben schenken wollen«, sagte ich, »war der junge Shakespeare wahnsinnig verliebt in Christopher Marlowe. Kein Mysterium größer, nichts herrlicher als sein geliebter Kit. «
    »Verstehe.«
    »Aber es war keine Liebe unter Gleichen. Sie waren gleich alt, das ja, hatten beide Väter, die ein Handwerk betrieben, aber Marlowe ging zur Universität, er las Machiavelli, war erfüllt von jener ›neuen Philosophie‹; sie zeigt sich in allen seinen Stücken. Verglichen mit Marlowe war Shakespeare weniger gebildet, weniger kultiviert. Ein echtes Landei .«
    »Und das hat Marlowe ihn schmerzlich spüren lassen.«
    »So hört es sich an, ja. Und nicht nur Marlowe. Es klingt, als habe die ganze Schule den jungen Will für recht unzulänglich gehalten. Jüngelchen aus Warwickshire. Wir achteten Seiner kaum . Ich vermute, sie haben ihn kein zweites Mal eingeladen, und ich vermute außerdem, Marlowe gab ihm binnen kurzem den Laufpass. Und wenn man ein verliebter junger Mann ist …«
    »Und ehrgeizig.«
    » … dann brennt das wie tausend Peitschenhiebe.«
    Die Sonne schien jetzt mit voller Kraft, ließ das weiße Blatt erstrahlen.
    »Was also macht Shakespeare?«, sagte ich. »Er baut sich sein Leben – sein Lebens werk – in direktem Gegensatz zur Schule der Nacht. Er verspottet ihren Dünkel in seinen Stücken. Er hisst seine Flagge im Lager von Essex, beim Feind. Und vielleicht lässt er es nicht dabei bewenden. Vielleicht sagt er gegen Marlowe aus, vielleicht schwärzt er Harriot an.«
    »Das sind Spekulationen.«
    »Aber irgendjemand verrät, was die Schule vorhat. Und wer hätte einen besseren Grund dazu als der sitzengelassene Liebhaber? Erinnere dich, was geschieht, als Ralegh Ärger mit König Jakob bekommt. Aus heiterem Himmel taucht ein Gedicht auf, The Hellish Verses , Ralegh zugeschrieben, das gespickt ist mit atheistischen Ansichten. Ziemlich genau das, was Ralegh auf der Seele brennt. Wem ist zuzutrauen, dass er so ein schädliches Dokument streut? Jemandem, der einen tiefen Groll hegt. Und jemandem, der aus erster Hand über die Vorhaben der Schule der Nacht informiert war.«
    Clarissas Miene verfinstert sich. »Plötzlich ist Shakespeare gar nicht mehr so sympathisch.«
    »Sympathisch oder nicht, das spielt keine Rolle. Er ist jemand anders . Nicht bloß jemand, der die Gefahren dieser wechselhaften Zeit unbeschadet übersteht, sondern ein Spieler . Der sich an den Männern rächt, die ihn abgewiesen haben.«
    Das Feuer in meinem Hirn war jetzt fast zu viel. Ich musste das Gesicht in den Händen vergraben. Ich musste …
    Atme, Henry.
    Aber ich dachte an die letzte Dekade meines Lebens. An mein persönliches wüstes Land, in dem ich alles hatte schleifen lassen. Schulden aufgehäuft hatte, finanzielle und geistige. Aber jetzt stand ich dank Alonzo Wax und Bernard Styles kurz davor, das ändern zu können. Ein schlichter zweiseitiger Brief konnte – wie hatte Styles das ausgedrückt – zum Ausgangspunkt einer famosen wissenschaftlichen Abhandlung werden. Wodurch die Karriere ihres Verfassers wieder Fahrt aufnehmen würde.
    »Großer Gott!« Ich fuhr zu Clarissa herum. »Hast du das Original?«
    »Hey, ich war nicht umsonst Bernard Styles' Sicherheitsbeauftragte. Ich habe das Original, es ist in einem sicheren Versteck. Wie ist es mit dir? Hast du den anderen Teil?«
    »Ja.«
    »Dann können wir ja los.«
    Sie sagte das so selbstverständlich, dass ich mich fast hätte mitreißen lassen. Aber leider gehört es zu meinem Wesen, dass ich über das Verb hinaus immer auf die ganze Aussage schaue. Los … wohin ?
    »Können wir nicht«, sagte ich mit zusammengepressten Zähnen. »Wir können nicht . Das wäre nicht mal rechtlich zulässig.«
    »Warum nicht?«
    »Der Brief gehört zum Nachlass von Bernard Styles.«
    Clarissa hob ein Jeansbein wie eine Seiltänzerin. Legte den Kopf leicht in den Nacken und sah in den Hartriegelbaum über uns hinauf.
    »Theoretisch stimme ich dir zu, Henry. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass Bernard auch nicht auf rechtlich einwandfreie Weise an den Brief gekommen ist. Diese Geschichte, er wäre im Archiv einer Anwaltspraxis darauf gestoßen? Ich hab sie nachgeprüft, die hält nicht stand. Und überleg doch mal, wenn er sich das Dokument auf legale Weise beschafft hat, warum hat er dann
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